Ärzterundschreiben der Ärzte-"Aktionsgemeinschaft" Westphalen-Lippe, Text:
Wir wehren uns!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wie sie vielleicht der Presse entnommen haben, hat sich unter Beteiligung der KVWI eine Aktionsgemeinschaft
der ärztlichen Verbände gegründet mit dem Ziel, die Umsetzung des Vorschaltgesetzes und die anstehende
Strukturreform 2000 zeitnah mit Information und politischen Aktivitäten zu begleiten.
In Fortführung des Aktionstages vom 18.12.98 müssen wir uns als einige Ärzteschaft in die Reformdiskussion
einklinken und ggf.auch mit weiteren öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten unsere Position verdeutlichen.
Als Kopievorlage erhalten Sie heute eine erste Wartezimmerinformation zu dem bisher nicht eingehaltenen
Versprechen von Frau Bundesgesundheitsministerin Fischer, die Ärzte aktiv in die Strukturdiskussion einzubeziehen. Am 19.02.99 haben die Koalitionsfraktionen die Eckpunkte der Strukturreform entschieden. Bis jetzt hat kein führender Vertreter der verfaßten deutschen Ärzteschaft die Chance gehabt, unsere Vorstellungen zu einer Strukturreform vorzutragen.
Eine Strukturreform geht nur mit, nicht gegen die Ärzteschaft!
Die beiliegende Information ist ein erster Schritt, weitere werden folgen!
Die Textvorlage ist bei Vergrößerung auf DIN A3 auch als Wartezimmerplakat zu verwenden.
Im Namen der Aktionsgemeinschaft Dr. Med. Wolfgang Aubke
Patienten - Info N° 1 der Ärzte- "Aktionsgemeinschaft" Westphalen-Lippe, Text:
Liebe Patientinnen und Patienten,
erinnern Sie sich noch an unseren Aktionstag am 18. Dezember 1998? Damals versprach die
Gesundheitsministerin, daß alle Betroffenen bei zukünftigen Reformvorhaben gehört werden.
Seit dem 19. Februar 1999 sind die Leitlinien und Eckpunkte der Gesundheitsreform 2000 auf dem Weg.
Ärztlicher Sachverstand zur Wahrung Ihrer Interessen wurde erneut nicht gefragt.
Wir müssen uns weiter gemeinsam wehren.
Ihre Ärztinnen und Ärzte
in der Aktionsgemeinschaft ärztlicher Verbände in Westfalen-Lippe
Antwortschreiben von Eckhard Brüggemann:
An den Vorstand
die Kassenärztliche Vereinigung
Westfalen-Lippe
z.Hd. Herrn Stellv. Vorsitzenden
Dr. Med. Wolfgang Aubke
Ihr Rundschreiben vom 23.02.1999 " Wir wehren uns"
Sehr geehrter Herr Kollege Aubke,
Ihren Aufruf in Ehren, aber die Hausärzte können Sie mit den Aktionen wohl nicht gemeint haben.
Ich jedenfalls und viele meiner Zunftgenossen werden uns nicht für die Interessen anderer Ärztegruppen
instrumentalisieren lassen, zumal die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände (GFB) es an jeglicher
Solidarität gegenüber den Hausärzten, bis hin zur offenen Diffamierung, nicht fehlen läßt.
Im Gegenteil: In vielen Bereichen erhoffen sich die Hausärzte mutigere Reformen von der Rot/Grünen
Koalition, Reformen, die längst überfällig sind, aber von unserer Selbstverwaltung verschleppt, verzögert
oder gar nicht angepackt wurden.
Ich streike oder protestiere nicht gegen:
- die Förderung der Weiterbildungsstellen in Allgemeinmedizin,
- die "Generalamnestie" vergangener Arzneimittelregresse,
- die Förderung der hausärztlichen Versorgung,
- die Einschränkung des Chip-Karten-(Miß)brauchs,
- einen freiwilligen Hausarzttarif in der GKV,
- eine grundlegende Strukturreform der KVen,
- die Einführung eines professionellen, hauptamtlichen KV-Vorstands,
- die Sektionierung der KV mit einer hausärztlichen Sektion,
- die generelle Einführung des Verhältniswahlrechts,
- die gleichgewichtige Repräsentanz der Hausärzte im zukünftigen KV-Aufsichtsrat,
- einen eigenen Gesamthonoraranteil,
- ein eigenes Verhandlungsmandat für das hausärztliche Honorar,
- gegen einen eigenen EBM und insbesondere auch HVM.
Ich streike auch nicht gegen die Öffnung der Krankenhausambulanzen, mit denen ich schon immer gezielt
und kollegial zusammengearbeitet habe, was ich von anderen fachspezifischen Berufsverbänden und deren
Mitgliedern nicht immer behaupten kann. Wie sonst sind die Regelungen der KVen zu verstehen, daß Hausärzte
keine Patienten an bestimmte Ambulanzen überweisen dürfen. Plötzlich, weil im Interesse der Fachärzte, soll die
"freie Arztwahl", die ja immer von unseren Fachkollegen so hoch gehalten wird, nicht mehr gelten. All dieses
unlogische, durch die fachärztlichen Mehrheitsinteressen gesteuerte Versorgungschaos gehört beendet.
Eine Regierung, die dieses offensichtlich will, wird von mir nicht nur nicht bekämpft, sondern aktiv unterstützt.
Da macht es mir auch nichts, wenn ich, wie geschehen, von einigen Kollegen als "Nestbeschmutzer" beschimpft
werde.
Nicht verschweigen möchte ich, daß es bei den bis jetzt bekannt gewordenen Vorschlägen der Regierung auch
Wermutstropfen gibt, z.B. die Budgetierung dse Honorars und der Arznei- bzw. Heilmittel. Aber leider haben die
niedergelassenen Ärzte seit Jahren ihre Hausaufgaben nicht erledigt, und schon deshalb ist die gesetzgeberische
Quittung unausweichlich. Nur so sind die notwendigen Änderungen in einem völlig erstarrten System KV zu
bewerkstelligen.
Eigentlich ist das ein Armutszeugnis für die Gesamtärzteschaft, wobei es an der Politik des
BDA/Hausarztverbandes sicherlich nicht gelegen hat.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: In allen anderen Bereichen der Politik gehöre
nicht zu den Anhängern der Rot/Grünen Politik. Das gilt insbesondere für die Sozial-, Steuer- und Energiepolitik.
Mit freundlichen Grüßen Ihr
Eckehard Brüggemann (1.3.1999)
nachrichtlich: Geschäftsführender und Gesamtvorstand des BDA.
Antwortschreiben von Herrn Dr. Aubke an Eckhard Brüggemann
Sehr geehrter Herr Kollege Brüggemann,
auch wenn ich es nicht liebe, in sehr komplexen Zusammenhängen einen Schriftwechsel auszutauschen,
muß ich auf Ihr Schreiben vom 01.03.99 antworten, weil mir die derzeitige Positionierung und Gruppierung
innerhalb der Ärzteschaft mehr als bedenklich erscheint. Und ich tue dies auch in der festen Überzeugung,
daß ich bekannt bin als jemand, der sich nicht auf eine bestimmte Gruppierung lokalisieren läßt, sonder in
allen politischen Aktivitäten versucht hat, das Gesamtwohl im Auge zu behalten und einen notwendigen
Abstimmungsprozeß zwischen auch extrem auseinanderdriftenden Interessengruppen zu finden.
Im einzelnen: Auch ich streike und protestiere nicht gegen die Förderung der Weiterbildungsstellen in
Allgemeinarztmedizin, gegen die Generalamnestie vergangener Arzneimittelregresse, gegen die Förderung
der hausärztlichen Versorgung, gegen die Einschränkung des Chipkartenmißbrauchs. Ich protestiere jedoch
gegen einen freiwilligen Hausarzttarif in der GKV, wenn nicht geklärt ist bei gedeckelter Gesamtvergütung,
woher dieser neuerliche Einnahmeverlust der GKV finanziert werden soll. Ich protestiere sehr lautstark gegen
eine grundlegende Strukturreform der KV und wie sie angedacht ist, weil dies die zur Zeit einzig bestehende
professionelle Widerstandsbewegung darstellt. Gewerkschaftlich organisierte Interessengruppen auf dem
Boden der freien Verbände oder Berufsverbände aufzubauen, halte ich für einen Papiertiger. Ich wundere
mich auch über die Naivität zu glauben, daß die Einführung eines sog. professionellen hauptamtlichen
KV-Vorstandes ein besseres Politikergebnis bringen soll. Einen höheren Grad an Professionalität als bei
den meisten in führenden Positionen zur Zeit Tätigen kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Professionalität
sollte sich nicht orientieren an einer Hauptamtlichkeit, sonder am Ergebnis der Politik völlig unabhängig von
dem dafür vorgesehenen Zeiteinsatz. Ich protestiere sehr lautstark gegen die Sektionierung der KVen und
einer hausärztlichen Sektion, weil dies bedeutet, daß wir auch die Patientenversorgung sektionieren müssen.
Ich protestiere ebenfalls nicht gegen die generelle Einführung des Verhältniswahlrechts, weil auch ich meine,
daß ein Minderheitenschutz in den Selbstverwaltungsgremien intensiviert werden muß. Ich protestiere sehr
lautstark gegen einen eigenen Gesamthonoraranteil, weil zuvor die Frage beantwortet werden muß, wie
grenzüberschreitende Leistungsverursachungen der einheitlichen Versorgung der Patienten geregelt werden
sollen. Neue Sektionierungen aufzubauen, bedeutet neue Schnittstellen zu verursachen, deren Lösung überhaupt
nicht geklärt ist.
Ich halte es nicht für sehr zielführend, ständig auch von mir weitestgehend zugestandene Defizite der
Vergangenheit auch für die Gegenwart noch als gültig anzuführen dafür, daß man sich von einer einheitlichen
Widerstandsbewegung gegen die Politik von seiten der Ärzteschaft wendet.
Meine Wahrnehmung ist nicht so, daß der BDA in seiner Vergangenheitspolitik immer und zu jeder Zeit der
Vorreiter zukunftsträchtiger Ideen gewesen ist. Die Versorgungssituation und Qualität auch dieser Kollegen
ist sehr unterschiedlich und nicht so durchgehend geprägt wie die ihrer eigenen ärztlichen Tätigkeit und ihrer
eigenen versorgungspolitischen Vorstellungen.
Insofern bin ich sehr wohl der Meinung, daß es nicht darum geht, unterschiedliche Interessenlagen und auch
unterschiedliche Positionen zuzukleistern, aber sehr wohl schärfer zu erkennen, mit welchem Ausmaße wir
alle insgesamt als niedergelassenen Vertragsärzte auf dem Wege zu einem staatsdirigistischen Gesundheitssystem
gefährdet sind.
Dies deutlich zu machen, ist meines Erachtens vorrangiges und existenzielles Ziel des derzeitigen politischen
Widerstandes.
Von daher bedauere ich ausdrücklich - und ich halte dies auch für eine krasse politische Fehlentscheidung - die
Absage des BDA zur Teilnahme am Kassenärztetag am 20.03.99 in Köln.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Aubke; 2. Vorsitzender der KVWL (Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe); 44127 Dortmund;
Tel. 0231/9432-0; Fax 0231/9432-130;
E-mail des Sekretariats: isolde.sachs@kvwl.de (18.3.1999)
Senden Sie Ihren Diskussionsbeitrag an Dr. Eckhard Brüggemann zur Veröffentlichung.