Was taugt die Gesundheitsreform? Der Hausarzt als Lotse


Antwort auf ein Interview des Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion Herrn Rudolf Dreßler,
im Rheinischen Merkur vom 05.03.1999.

Sehr geehrter Herr Dreßler,

ich darf Ihnen herzlich für die klaren Worte danken, die Sie der zukünftigen Funktion des Hausarztes in dem gegliederten Versorgungssystem zugebilligt haben. Sie heben sich damit wohltuend von dem ab, was Herr Thomae von der FDP zu diesem Thema zu sagen hat: "...da braucht es weder Bonus (Hausarzttarif) noch Zwang (Primärarztsystem), das ergibt sich von ganz alleine." Genau das tut es in dem jetzigen so technik- und facharztlastigen Versorgungssystem nicht. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion hat entweder noch nicht erkannt, oder will nicht erkennen, daß in dem besonderen System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) der Staat die Rahmenbedingungen zu setzen hat, daß alle Bürger menschlich und fachlich angemessene und bezahlbare Medizin erhalten können. Dies wiederum kann nur durch den gut weitergebildeten Hausarzt in der vordersten Front (Primärversorgung) garantiert werden. Im übrigen ist es vornehmlich der Hausarzt, der sich um die zunehmende Zahl der nicht mehr so mobilen alten und schwachen Menschen kümmert.

Dabei muß der Gesetzgeber, denn die Selbstverwaltung schafft es offensichtlich nicht, für Bedingungen sorgen, die es dem Hausarzt ermöglichen, seine ihm zugedachte Funktion zu erfüllen.

Aus diesem Grund sind aus Sicht der Hausärzte Ihre Vorstellungen und Entscheidungen so wichtig, da die vorhergehende Koalitionsregierung dieses "heiße Eisen" nicht konsequent genug angepackt hat, sicherlich gebremst durch die FDP.

Der BDA/Hausärzteverband hat seine Vorstellungen immer wieder veröffentlicht und sich dabei ungerechtfertigterweise zum Teil die offene Feindschaft der Fachkollegen zugezogen.

Welche Vorstellungen hat der BDA im Sinne von "Hausarzt vor Rationierung":

1. Die GKV muß in ihrer Grundstruktur erhalten bleiben. Diskutiert werden sollte, ob unbedingt 90% der Bevölkerung in ihr versichert sein müssen. Jedenfalls will der BDA keine amerikanischen Verhältnisse mit der stringenten Individualisierung des Krankheitsrisikos für alle. Für den größten Teil der Bürger in der Bundesrepublik soll das Solidarprinzip erhalten bleiben.

2. Innerhalb der Versorgungsebene soll die "freie Arztwahl" des Patienten erhalten bleiben. Als Versorgungsebenen werden definiert: die hausärztliche, die fachärztliche niedergelasse, die fachärztliche ambulante am Krankenhaus und die fachärztliche stationäre. Das System miß so durch positive Anreize modifiziert werden, daß der Patient von sich aus, also freiwillig, den Einstieg in die hausärztliche Versorgungsebene mit seinem Problem sucht (freiwilliger Hausarzttarif).

3. Um auf die gewachsenen Strukturen Rücksicht zu nehmen, denen der BDA seit Jahren schon kritisch gegenübersteht, fordert der BDA kein stringentes "Primärarztsystem" sondern eben den freiwilligen, mit einem Bonus versehenen, "Hausarzttarif" als Pflichtangebot in der GKV.

4. Zusätzlich muß die Krankenversichertenkarte in ihrer Funktion eingeschränkt werden, so wie sie es dankenswerter Weise schon vorgeschlagen haben. Die Hausärzte sind davon überzeugt, daß sie so der ihnen zugedachten Aufgabe und Funktion innerhalb des Systems gerecht werden können, ohne die fachärztliche Versorgung zu behindern. Eine konsequente Zusammenarbeit mit den Spezialisten auf höchstmöglichem Niveau ist für den Hausarzt sowieso unabdingbar.

5. Verhindert werden muß aus wirtschaftlichen und qualitativen Gründen die Primärbehandlung in der spezialistischen Versorgungsebene.

6. Die KVen müssen eine neue professionellere Führungsstruktur bekommen. Der BDA kann sich hier einen hauptamtlichen, auf 6 Jahre gewählten Vorstand vorstellen, dem ein mit Ärzten besetzter Aufsichtsrat zur Seite gestellt wird.

7. In den KVen müssen Sektionen eingesetzt werden, wie es die SPD seit einiger Zeit fordert. Eine Spaltung Der KV wird vom BDA nicht angestrebt.

8. Für die Hausärzte muß ein eigener Gesamthonoraranteil zur Verfügung gestellt werden. Dabei sollte das Verhandlungsmandat bei den Hausärzten liegen. Damit ergeben sich logischerweise auch ein eigener Hausarzt-EBM und Hausarzt -HVM.

9. Das Verhältniswahlrecht für die Vertreterversammlung der Kven ist bundesweit einzuführen, damit die einzelnen ärztlichen Gruppen entsprechend ihrer Repräsentation sich auch in der Vertreterversammlung wiederfinden.

10. Die wichtigsten Gremien und Ausschüsse in der KV sind entsprechend paritätisch zu besetzen.

11. Die jetzt schon dankenswerterweise durch die SPD eingeführte finanzielle Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmdizin muß über das Jahr 2000 hinaus weiter gewährt werden.

Was will der BDA nicht:

1. Eine Machtverlagerung in Richtung Krankenkassen.

2. Die Zerschlagung der KVen und die Beeinträchtigung des Sicherstellungsauftrages.

3. Globalbudgets nach fixen Vorgaben, die keine Rücksicht auf Morbidität, demographische Entwicklung, Fortschritte in den Behandlungsmöglichkeiten nehmen. Sie bedeuten auf Dauer Kanibalismus unter dem Budget und letztendlich Rationierung von Leistungen.

4. Fixe Arzneimittelbudgets, die keine Rücksicht auf Therapienotwendigkeiten und -möglichkeiten nehmen.

5. Die Einschränkung der freien Arztwahl durch ein obligatorisches Primärarztsystem.

Die nachdrückliche Ablehnung derartiger Pläne hält den BDA jedoch nicht davon ab, seine auf Stärkung der hausärztlichen Versorgung gerichteten Anliegen zu verfolgen und Pläne der Bundesregierung, der Koalition, welche diese Anliegen aufgreift, zu unterstützen.

Ich bin mir bewußt, wir verlangen viel, aber die Verantwortung für die Gesamtgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland verlangt diese gesetzgeberischen Maßnahmen. Auf der anderen Seite wird sich der BDA seiner Verantwortung nicht entziehen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Kraft und Durchsetzungsvermögen bei den weiteren schwierigen Beratungen und Entscheidungen.

Zu einem informellen Gespräch ist die BDA-Führung jederzeit bereit.

Mit freundlichen Grüßen
Eckhard Brüggemann (15.3.99)



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