Antwort auf das "Konzept der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
zur Strukturreform 2000" Stand 26.02.1999


Liebe Vorstandskollegin und -kollegen,

zu dem mir vor einigen Tagen zugeleiteten Papier der KBV zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens (Strukturreform 2000) möchte ich doch einige Anmerkungen machen.

"Das Bekenntnis zu einer solidarischen Krankenversicherung für alle Sozialversicherten, die eine medizinisch notwendige Versorgung im Sachleistungssystem gewährleistet."

Kommentar: Auch der BDA ist für das Beibehalten der Gesetzlichen Krankenversicherung für den größten Teil der Bundesbürger, jedoch muß man sich ernsthaft fragen, ob 90% der Bevölkerung in einem solchen staatlichen Zwangsversicherungssystem versichert sein müssen. Die Versicherungspflichtgrenze ist mittlerweile auf knapp 6400 DM angestiegen. Damit werden immer mehr Patienten in die Zwangsversicherung aufgenommen, die durchaus sowohl intellektuell als auch finanziell in der Lage wären, für den Krankenschutz selbst, das heißt über die PKV, zu sorgen, von den 15% freiwillig Versicherten ganz zu schweigen. Diese freiwillige Versicherung muß ganz entfallen und die Versicherungsgrenze sollte so auf ca. 4000 DM gesenkt werden. Damit hätten die Ärzte die Chance, eine gewisse Gleichgewichtigkeit in der Versorgung von GKV- und Privat-Patienten in der Behandlung zu bekommen.

"Eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung, die allerdings nicht durch Abschottung der Hausärzte vor Konkurrenz und Honorarumverteilung, sondern durch Stärkung der hausärztlichen Versorgungsfunktion erreicht werden muß."

Kommentar: Dieses ist eine reine Worthülse! Wie will ich die hausärztliche Versorgungsfunktion stärken, wenn die Versorgungsstrukturen es dem Hausarzt überhaupt nicht ermöglichen, seine Funktion einzunehmen. Die typische Reaktion der KBV: "Wasch mir den Pelz und mach mich nicht naß." Hier äußert sich genau die Politik, die seit Jahren nichts an den strukturellen Defiziten geändert hat. Zum jetzigen Zeitpunkt eine solche schriftliche Äußerung niederzulegen zeigt, daß die KBV zu keiner Reform fähig ist.

" Eine sinnvolle Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, die auf der Arbeitsteilung zwischen niedergelassenen Vertragsärzten und Krankenhäusern aufbaut, jedoch unter Beseitigung der stringenten Ausgabeabschottung beider Versorgungsbereiche eine sinnvolle Kooperation unter niedergelassenen Vertragsärzten und Krankenkassen ermöglicht."

Auch das ist wieder typisch. Von einer sinnvollen Verzahnung zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung ist in diesem Schreiben überhaupt keine Rede. Genau das ist aber aus unserer Sicht der Knackpunkt, und nicht die bessere Verzahnung zwischen ambulant und stationär. Hier stehen wir ja als Hausärzte jeder liberaleren Lösung als heute positiv gegenüber.

" Die KBV stellt ihr eigenes Konzept zur Beibehaltung einer gegliederten Krankenversicherung und einer gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen dem Bundesregierungskonzept entgegen und empfiehlt folgende systemimmenente Weiterentwicklung der vertragsärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland."

Kommentar: Obwohl seit 20 Jahren überfällig, haben sich die Strukturen der KBV und der KVen nicht geändert. Von einer systemimmanenten Weiterentwicklung in den letzten Jahren kann überhaupt nicht gesprochen werden. Im Gegenteil, die KVen haben es zugelassen, daß die hausärztliche Versorgung qualitativ und finanziell, sowie auch personell immer mehr ausgedünnt wurde, während die fachärztlich spezialistische Versorgung sich immer weiter ausgedehnt hat. In der jetzigen strukturellen Zusammensetzung haben wir von dieser Körperschaft nichts, aber auch gar nichts zu erwarten.

" Eine ausschließlich ökonomische Steuerung des Gesundheitswesens durch Globalbudgets widerspricht den medizinischen Erfordernissen einer bedarfsgerechten Patientenversorgung und zwingt die Krankenkassen zu Risikoselektion unter ihren Versicherten."

Kommentar: Das mag vordergründig richtig sein, ist es sicherlich auch, aber die gemeinsame Selbstverwaltung und insbesondere die Verantwortlichen in den KVen und der KBV haben bisher kaum etwas dazu getan, daß die Patientenprobleme auf der Ebene gelöst werden, die es am preiswertesten und qualitativ besten macht, nämlich zunächst einmal der hausärztlichen. Die heute fast schon zur Regel gewordene Primärbehandlung durch spezialistische Fachärzte ist und bleibt qualitativ und finanziell ein Irrweg. Hinzu kommt die Übertechnisierung der bundesrepublikanischen Praxen (Sonographie, Röntgen usw.),sowie die zu geringe Honorierung der eigentlichen ärztlichen Grundtätigkeiten. Dies macht es den Politikern leicht, den Ärzten Ressourcenvergeudung vorzuwerfen. Und diese existiert ja auch tatsächlich. Deshalb muß die Ärzteschaft zunächst die ambulante Versorgungsstruktur im Sinne der BDA-Vorschläge strukturell verbessern, wenn sie mehr Geld ins System haben möchte, um eine dann drohende Rationierung zu verhindern. Der Verweis auf die Ausgliederung von versicherungsfremden Leistungen aus der GKV ist in meinen Augen keine Lösung, da diese versicherungsfremden Leistungen von der Gesellschaft offensichtlich gewollt werden und dann an anderer Stelle bezahlt werden müssen. Wenn heute die Regierung solche Leistungen ausgliedert, wird sie das Honorarbugdet der Ärzte um den entsprechenden Betrag mindern.

" Die Ärzteschaft verfolgt als Ziel die Ablösung sektoraler Budgets in der vertragsärztlichen Versorgung durch neue Versorgungs- und Vergütungsstrukturen. Dieses Ziel muß erreicht werden durch: Stärkung der hausärztlichen Versorgung bei Erhaltung der freien Arztwahl."

Kommentar: Hier muß man sich zunächst einmal unterhalten darüber, was man unter " freier Arztwahl" versteht. Ich kann mir vorstellen, daß die KBV darunter versteht , die freie Arztwahl zwischen den Versorgungsebenen. Der BDA versteht darunter jedoch die freie Arztwahl innerhalb der Versorgungsebene, wobei die Versorgungsebenen als hausärztlich, fachärztlich niedergelassen, fachärztlich ambulant am Krankenhaus und fachärztlich stationär zu verstehen sind. Entscheidend ist also, daß das System so verändert wird, daß der Patient mit seinem primären Problem möglichst nicht in der Versorgungsebene 2 einsteigt. Die Primärbehandlung der Versorgungsebene 2 muß deutlich eingeschränkt werden. Ausnahmen wie Augenheilkunde, Gynäkologie und Notfälle verstehen sich von selbst.

" Stärkung der hausärztlichen Versorgung bei Erhaltung der freien Arztwahl. Sektorale Lösungsansätze mit Abschottung der hausärztlichen von der fachärztlichen Versorgung werden abgelehnt. Sie verschärfen die Schnittstellenprobleme statt sie zu lösen."

Stimmt nicht, reine Schutzbehauptung! Man hat es ja noch nicht einmal versucht. Der KBV-Vorstand ist offensichtlich beratungsresistent und in seiner Uneinsichtigkeit untragbar.

Das was dann unter III 2." Statt dessen werden zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung angeboten", geschrieben wird, ist durchaus interessant.

" Reduzierung des Versichertenanspruches aus der Chipkarte auf die Wahl eines Hausarztes und/oder eines Facharztes oder wirtschaftliches Anreizsystem zur Reduzierung der unkoordinierten Mehrfachinanspruchnahme von Vertragsärzten."

" Einführung von Wahltarifen für Versicherte auf freiwilliger Basis."

" Eigenes Hausarztkapitel im EBM zur funktionalen Gliederung von hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung (§ 73 SGB V)."

" Angemessene Vergütung durch vereinbarte Punktwerte innerhalb vereinbarter Leistungsvolumen."

" Umstrukturierung der hausärztlichen Versorgung auf Allgemeinärzte durch Maßnahmen der Bedarfsplanung aufgrund einheitlicher hausärztlicher Verhältniszahlen."

" Gewährleistung eines Zulassungsanspruches für weitergebildete Allgemeinärzte."


Kommentar: Insgesamt scheint doch eine gewisse Einsicht in den KBV-Vorstand eingekehrt zu sein. Dennoch fehlt der Hinweis auf die Sektionierung der KVen, meinetwegen auch Fraktionierung , und den eigenen Gesamthonoraranteil mit eigenem Verhandlungsmandat. Hier muß der BDA innerärztlich weiter nachbohren.

Was des weiteren in dem Kapitel zur "Förderung der kooperierenden Praxisformen" unter IV 1. Und 2. (2.1.bis 2.5) steht, kann vom BDA so mitgetragen werden. Das gilt ebenfalls für das Kapitel V "Die Förderung integrierter Versorgungsformen muß darüber hinaus gefördert werden durch": 1. und 2.

VI. "Die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung" kann aus meiner Sicht so akzeptiert werden.

VII. "Die Neuordnung der Bedarfsplanung" ebenfalls.

VIII. "Die Neuordnung des Vergütungssystems" ebenfalls so akzeptieren. Das gilt auch für

IX. "die Neuordnung des Verordnungssystems."

Fazit: Das entscheidende Problem innerhalb der Strukturreform der ambulanten Versorgung wird wiederum semantisch umschifft und nicht angepackt. Deshalb kann dieses Konzept uns keinesfalls zufriedenstellen. In einem weiteren Schreiben werde ich das auch dem KBV-Vorstand mitteilen.

Mit besten kollegialen Grüßen Euer Eckhard Brüggemann (15.3.99)



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