Sehr geehrter Herr Kollege Johannes Schill,

haben Sie recht herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 28.12.1998. Im folgenden gestatten Sie mir, zu Ihren Fragen ausführlich Stellung zu nehmen, da ich glaube, daß Ihre Fragen sehr viele von uns Allgemeinärzten bewegen.

Frage 1: Ist es richtig, daß wir nach dem neuen EBM als Hausärzte keine Prickteste und Desensibilisierungen mehr durchführen dürfen? Ein Schwerpunkt meiner Praxis war bisher dieses Gebiet. Ich habe allerdings nicht die Zusatzbezeichung Allergologie, jedoch die Zusatzbezeichnung Umweltmedizin.

Der Inhalt der neuen EBM ist zwar in seinen groben Zügen bekannt, jedoch letztlich in allen Details noch nicht festgelegt. Aus dem jetzigen Stand des Wissens um den neuen EBM kann also meine Antwort nur verstanden werden. Hausärzte dürfen auch weiterhin Prickteste und Hyposensibilisierungen durchführen und abrechnen. Richtig ist jedoch, daß für diese Leistungen dem Hausarzt ohne Zusatzbezeichnung Allergologie kein gesondertes Praxisbudget zur Verfügung gestellt wird. Er wird also diese Leistungen im Rahmen seiner üblichen hausärztlichen Betreuung innerhalb des Budgets abrechnen müssen.

Frage 2: Liegen Ihnen Informationen vor, daß wir in Zukunft keine Kinder mehr behandeln dürfen? Wo würde die Altersgrenze gezogen? Dürfen wir weiterhin U - Untersuchungen durchführen? Sind Bestrebungen im Gange uns die Kinder auch noch zu entziehen?

Natürlich dürfen auch weiterhin Allgemeinärzte/Hausärzte Kinder behandeln. Wie sollte auch sonst eine entsprechende ärztliche Versorgung auf dem Lande möglich sein, wo es eine kinderärztliche Versorgung in diesem Sinne gar nicht gibt. Anders sieht es natürlich in den Stadtgebieten aus. Hier ist es so, daß die kinderärztliche Versorgung in weiten Bereichen nicht mehr durch Hausärzte erfolgt, sondern durch Kinderärzte selbst. Dieses Problem ist so dem BDA als auch dem Kinderarztverband durchaus bekannt und wird sehr intensiv im Rahmen der Gemeinschaft Hausärztlicher Berufsverbände (GHB) miteinander diskutiert. Es wird auch weiterhin dringend erforderlich sein, daß Hausärzte entsprechende pädiatrische Kenntnisse in ihren Praxen mitbringen, zumal wenn sie denn auf dem Lande später praktizieren wollen. Hier haben die Kinderärzte sogar schon ihre Mithilfe angeboten, diesen Kollegen ein entsprechendes Wissen zu vermitteln. Über das Wie und Wielange jedoch besteht noch keine Einigkeit. Wer bisher U - Untersuchungen in seiner Praxis durchgeführt hat, wird das auch auf Dauer weiter tun können (Besitzstandwahrung). Ob in den nächsten Jahren für die Durchführung und Abrechnung solcher Untersuchungen eine besondere Qualifikation auch von den zukünftigen Hausärzten gefordert wird, entzieht sich zur Zeit meiner Kenntnis. Bestrebungen in diesem Sinne sind jedenfalls im Gange.

Frage 3: Aus der Presse war zu entnehmen, daß wir Hausärzte in Zukunft nicht mehr stationär in die Chirurgie einweisen dürfen, sondern alle Fälle vorher durch einen niedergelassenen Chirurgen screenen müssen?

Davon kann überhaupt keine Rede sein, und sollten solche Bestrebungen im Gange sein, können Sie gewiß sein, daß der BDA sich vehement gegen eine solche Regelung wehren würde. Richtig ist, daß in Zweifelsfällen eine Zweitmeinung ambulant eingeholt werden sollte, ehe es dann zu chirurgischen Interventionen kommt, wobei ich die Zweitmeinung durch einen klinischen Arzt gegenüber einem niedergelassenen Chirurgen präferiere.

Frage 4: Im Augenblick liegt ja bereits schon ein Primärarztsystem der Fachärzte vor, da wir Hausärzte praktisch nur noch auf die Innere oder Chirurgie einweisen können, zumindest in unserem Raum ist es so. Soll uns in Zukunft auch die Einweisungsmöglichkeit für Kinder in die Kinderklinik genommen werden. Eine Überweisung in die Kinderklinik z.B. für ein EEG eines Kindes wird hier in meiner Region von einem Allgemeinarzt nicht mehr akzeptiert. Kinder, die ich stationär eingewiesen habe, werden bei Entlassung häufig zum Kinderarzt geschickt.

Mit Ihrer 4. Frage greifen Sie mehrere Problemkreise auf, die die Schnittstelle zwischen ambulant und stationär berühren. Ich darf in diesem Zusammenhang auf meinen Artikel " Das facharztgestützte Primärarztsystem" verweisen. Eine stationäre Einweisung in irgend eine Klinik können Sie selbstverständlich auch ohne die Zustimmung eines anderen Gebietsarztes vornehmen. Was anderes ist es mit speziellen technischen Untersuchungen, die vor allen Dingen auch ambulant durchgeführt werden. Hier schotten sich die Kliniken vor allen Dingen gegen Überweisungen durch niedergelassene Hausärzte ab. Das ist aber nicht so sehr der Wille der Kliniken als vielmehr der Druck der niedergelassenen Kollegen, die die Klinikärzte zwingen, dieses zu tun, da sie sonst ihnen keine Patienten mehr zuweisen. Die Politik wird dann über die Zulassungsausschüsse bei den KVen, die vornehmlich durch Spezialisten besetzt sind, komplettiert. Das Problem, daß die Spezialabteilungen der Krankenhäuser - z.B. Urologie, Orthopädie oder Pädiatrie - Patienten, die von Hausärzten eingewiesen wurden, in die "fachurologische oder fachorthopädische oder fachpädiatrische Weiterbehandlung" entlassen, ist natürlich ein Ärgern per se und eine absolute Unkollegialität. Bisher galt im Arztrecht, daß der Arzt, der den Patienten stationär eingewiesen hat, ihn auch nach der stationären Behandlung wieder als erster zu sehen bekommt. Leider sind all diese althergebrachten kollegialen Verhaltensweisen heute ad acta gelegt. Es geht offensichtlich in allen Bereichen nur noch um Pfründewahrung. Daß wir Hausärzte dabei für viele spezialistische Fachkollegen als Störenfriede empfunden werden ist eine Tatsache. Dies ist leider auch Folge der unkoordinierten Patientenbetreuung im ambulanten Bereich, welche durch die Chipkarte erst seine Vollendung fand. Unsere Fachkollegen saugen sich mit immer mehr Patienten mit " Bagatellerkrankungen" voll, wobei sie diese wie schwere Krankheiten ihres Fachgebietes behandeln, von Ringüberweisungen in Fachkliniken ganz zu schweigen. Ressourcenvergeudung par excellence nennt man so etwas zu Lasten des hausärztlichen Punktwertes, da es bis heute kein eigenes Gesamthonorar für die Hausärzte gibt. Überhaupt wird nach wie vor von unseren Fachkollegen die Daseinsberechtigung der Allgemeinmedizin und des Hausarztes massiv - zum Teil sogar brutal - angezweifelt. Dieses wird sich erst dann ändern, wenn wir einen wie auch immer gearteten Hausarzttarif und ein Hausarztsystem in der ambulanten Versorgung bekommen. Ich selbst bin da ganz zuversichtlich, denn die ökonomischen Zwänge werden von Jahr zu Jahr größer, zu einer Lösung zu kommen, die auf der einen Seite die Qualität der Versorgung nicht verschlechtert und auf der anderen Seite die finanziellen Auswirkungen bezahlbar hält. Hier bietet sich als einzige Alternative zum jetzigen Versorgungschaos und Ressourcenvergeudung ein Hausarztsystem an. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß die jetzige Regierung dieses Problem zumindest weitestgehend im Sinne der Politik des BDA löst.

Frage 5: Ist Ihnen bekannt, daß das Belastungs-EKG entzogen werden soll?

Richtig ist, daß im Rahmen der Neugestaltung der Weiterbildungsordnung der Richtlinien zur Weiterbildung durch den Internisten den Hausärzten das Belastungs-EKG entzogen werden sollte. Dies konnte durch massive Intervention des BDA verhindert werden. Hier gilt der besondere Dank Kollegen Prof. Hoppe und Kollegen Everz, Kammerpräsident Rheinland-Pfalz, die sich massiv für die Hausärzte eingesetzt haben. Richtig ist, daß das Langzeit - EKG aus der hausärztlichen Versorgung gestrichen wurde. Auch hier gilt natürlich die Besitz- standwahrung, d.h. Kollegen, die bisher schon Langzeit -EKG abgerechnet haben, dürfen auch weiterhin dies tun. Ganz persönlich kann ich Ihnen sagen, daß ich ebenfalls der Meinung bin, daß das Langzeit - EKG nicht zum Standard einer hausärztlichen Versorgung gehört. Aber bitte, das ist meine ganz persönliche Meinung.

Frage 6: Ist Ihnen bekannt, daß uns Hausärzten die Möglichkeit genommen werden soll, CT und Kernspinbefunde z.B. des Kopfes (Ausschluß z.B. Hirn-TU) anfordern zu dürfen, wenn dies das neurologische Fachgebiet betrifft (nur EBM)?

Nein, das ist mir nicht bekannt. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, daß, wenn ein entsprechendes Hausarztsystem errichtet wird, die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und niedergelassenen Spezialisten wesentlich intensiviert wird und - so jedenfalls sehe ich das - auf einen wesentlich höheren Niveau stattfinden muß. Wenn nach wie vor 50% der Überweisungen an den Radiologen keinerlei Erläuterungen zur Durchführung der Untersuchung enthalten, so kann ich daraus nur folgern, daß 1. Die Qualität der Kommunikation zwischen Hausärzten und Spezialisten mangelhaft ist und 2. Der auftraggebende Kollege die Tätigkeit des den Auftrag ausführenden Kollegen unkollegial mißachtet. Hier gibt es noch viel, sehr viel zu verbessern, auch bei uns Hausärzten. Im übrigen, so berichtete mir dieser Radiologe, ein enger Freund von mir, sei die Überweisungsqualität der jungen, niedergelassenen Ärzte noch sehr viel schlechter als die meiner Generation. Kein Ruhmesblatt für die Allgemeinmedizin.

Wir dürfen also, was die Qualität unserer Arbeit anbelangt, auch den Mund nicht zu voll nehmen. Für mich und das sage ich Ihnen unumwunden - ist es in Zukunft nicht so wichtig, daß irgendwelche exotischen Leistungen in Diagnostik und Therapie im hausärztlichen Bereich bleiben - die von Ihnen erwähnten gehören nicht zu Exotenleistungen - sondern, daß das, was unser täglich Brot ist in unseren Praxen, von uns auf höchst möglichem Niveau geleistet wird. Wenn der Hausarzt erst einmal sein abgestecktes Versorgungsgebiet innerhalb der ambulanten ärztlichen Landschaft bekommen hat, bleibt für uns alle viel Arbeit zu tun, dem oben formulierten Anspruch gerecht zu werden.

Mit besten kollegialen Grüßen Ihr Eckard Brüggemann (1/99)



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