Wie kann heute eine moderne Behandlung ökonomisch gestaltet werden?
Bei der Vorbereitung auf dieses Thema fiel mir eine Weiterbildungsbroschüre in
die Hände mit dem Titel "Neue Arzneimittel, bessere Therapie. Fortschritte bei
den Medikamenten des Jahres 2000 in den Indikationsgebieten:
- Bluthochdruck
- Stoffwechselstörungen
- Krebs
- Gelenkerkrankungen
- Schmerz
- Infektionen
- Magen/Darmerkrankungen
- Psychiatrische Erkrankungen
- Hormonale Kontrazeption
- Neurologische Erkrankungen
Das Ganze sieht nicht nur so aus sondern ist auch eine
Arzneimittel-Innovationsoffensive, wobei man wissen muß, daß die tatsächlich
und manchmal auch nur vermeintlich besseren innovativen Arzneimittel im Schnitt
zwischen dem 3- bis 10fachen an Tagestherapiekosten verursachen als ältere,
oft auch generische Therapeutika.
Und hiermit zeigt sich schon das Dilemma, in welchem die niedergelassenen
Ärzte in ihrer vom Gesetzgeber vorgegebenen Situation stecken. Das Geld für
den Einsatz von innovativen Arzneimitteln muß an anderer Stelle eingespart
werden, will der einzelne Arzt nicht existenzbedrohende Regresse, sprich
besser Strafzahlungen, riskieren.
Um das ganze komplexe Geschehen rund um die Arzneimittelverordnung in
unseren Praxen zu verstehen, müssen vorab ein paar grundsätzliche
Bemerkungen vorangestellt werden.
Die zu Apothekenabgabenpreisen bewerteten gesamtdeutschen Arzneimittel
betrugen im Jahr 1999 insgesamt 36,2 Milliarden DM. In diesem Betrag
enthalten sind Zuzahlungen der Patienten sowie der 5%ige
Apothekenzwangsrabatt für die Krankenkassen. Dabei wird die
ökonomische Reaktion der Ärzte an dem Wachstum der Generika-Verordnungen
bei einem Vergleich der Jahre 1992 bis 1999 deutlich. Es stieg bezogen auf
den oben genannten Gesamtumsatz von 33 % auf 42 % und soll Ende 2000
bei knapp 40 % liegen.
Worin liegen die Gründe dieses Verschreibungsverhaltens?
Durch das Gesundheitsstrukturgesetz wurde die Arzneimitteltherapie über das
Arzneimittelglobalbudget direkt mit den Einkommen der Ärzte verknüpft. Für
den Fall, daß alle Ärzte mit dem kollektiven Arzneimittelbudget nicht
auskommen ist vorgesehen, daß der Fehlbetrag mit der Gesamtvergütung - also
dem Honorar der Ärzte - verrechnet wird. Den einzelnen KVen obliegt es dann,
in sogenannten Einzelregreßverfahren nach arztindividuellen Richtgrößen
diejenigen Ärzte aufzuspüren, die die ganze Zeche zu bezahlen haben.
Die Kontrollgrenzen der Verordnungen liegen bei nur 105 bis 115 %
Überschreitung der Richtgrößen. Schon bei 115 % erfolgt der automatische
Regreß. Das Problem der Richtgrößen besteht aber darin, daß sie rein
statistisch nach den Verordnungen der vergangenen Jahre erstellt
werden und sich nicht auf eine solide Morbiditätsstatistik begründen.
Dies ist eine Hauptforderung des BDA, da nur dann, wenn man die
Patientenmorbidität berücksichtigt, Richtgrößen sinnvoll eingesetzt
werden können.
Des weiteren wird die Verordnung von Arzneimitteln durch Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen maßgeblich beeinflußt.
Diese Richtlinien sollen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche
Versorgung der Versicherten gewährleisten.
Arzneimittelbudgets und Arzneimittelrichtlinien sind also beides - mittelbare
und unmittelbare - administrative Eingriffe in das Verordnungsverhalten der
Ärzteschaft, welches wiederum maßgeblichen Einfluß auf Qualität und
Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelverordnung nimmt. Durch ständige
gesetzgeberische Überarbeitungen tragen beide - Budgets und
Richtlinien - dazu bei, daß für den Arzt keine verläßlichen Rahmenbedingungen
in seiner Arzneimittelverordnung existieren.
Es bleibt daher festzuhalten, daß finanzielle Engpässe derzeit nicht dadurch
gelöst werden, daß grundlegende neue Finanzierungsansätze bei den
Krankenkasseneinnahmen von der Politik gesucht werden sondern
dadurch, daß die Ausgaben der Krankenversicherung rigide budgetiert
werden (Arzthonorar, Arznei- und Heilmittel ect.). Damit aber ist die
Versorgung der Versicherten zunehmend gefährdet, denn den Ärzten wird
eine Rationierung quasi per Gesetz aufgebürdet, da sie selbst nur wenig
Einfluß auf die Arzneimittelinanspruchnahme durch Patienten haben.
Besonders hervorzuheben sind dabei:
1. die unökonomische Arzneimittelinanspruchnahme durch Patienten im
Rahmen der sogenannten "freien Arztwahl";
2. die sich zunehmend verschlechternde demographische Entwicklung,
die ja nicht nur die Krankenversicherung sondern auch die
Rentenversicherung in immer größere finanzielle Schwierigkeiten bringt und
3. die Preisgestaltung der Arzneimittel in der Bundesrepublik.
Besonders zu beklagen ist hierbei die jetzige Form des Gebrauches (Mißbrauches)
der Chipkarte, die sich ja nicht nur im Doktor-Hopping - also sprich Aufsuchen
von mehreren gleichartigen Gebietsärzten - zeigt, sondern vor allem auch in
unkoordinierten Inanspruchnahmen von Gebietsspezialisten, bei denen dann
natürlich auch Arzneimittel unkoordiniert abgeschöpft werden können.
Niemand ist dabei verantwortlich für das Management des Arzneimittelmenüs
des Patienten, der Hausarzt kann häufig auch nicht der Case-Manager sein,
denn nach heutiger Rechtslage und praktischer Durchführung ist dem Patienten
jede Libertinage erlaubt und jede finanzielle Verantwortung nicht vorhanden.
Festzuhalten bleibt, der Hausarzt hat nur in begrenztem Rahmen Einfluß auf die
Arzneimittelausgaben. In den Bereichen, in denen er Verantwortung tragen
kann - z.B. die Verordnung von Generika - hat er sie mehr als erfüllt. Zur Zeit
werden zwischen 70 und 80 % der überhaupt durch Generika austauschbaren
Arzneimittel heute schon in der Bundesrepublik verordnet. Damit ist diese
Rationalisierungsreserve bald am Ende.
So ist die Situation, in der die Hausärzte ihre Patienten dennoch ordentlich
versorgen müssen, eine wahrlich nicht so leichte Aufgabe! Das Vermeiden
von Regreßdrohungen mit einem möglichst rationellen Arzneimitteleinsatz macht
aus Sicht des BDA als wichtigstes ein konsequentes Budgetmanagement
notwendig, das auf Transparenz der Arzneimittelversorgung und der individuellen
Verordnungsweise sowie auf der Berücksichtigung des allgemein anerkannten
Kenntnisstandes in der Pharmakotherapie-Behandlung, dem wirklichen
Fortschritt und der Beachtung der Therapieempfehlungen der
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft beruht. Dabei dürfen wir die
Politik nicht aus der Verantwortung entlassen, für die Festlegung der
Richtgrößen in der Arzneimitteltherapie objektive Morbiditätsdaten
zugrundezulegen.
Als ideales Kontrollinstrument für die Praxis bietet sich die
IFAP-BDA-Regress-Analyse des Hausärzteverbandes an. Eine bessere
Transparenz über das eigene Verordnungsverhalten gibt es zur Zeit nicht
auf dem Markt. Die üblichen EDV-Softwarestatistiken können eine solche
Regreßanalyse nicht ersetzen.
Für das Vorgehen in der Praxis, bezogen auf eine effektive Arzneimitteltherapie,
haben sich einige Verhaltensweisen bewährt:
1. Beratungsergebnisse und Dauerdiagnosen vollständig angeben. Sie müssen
mit der Therapie übereinstimmen.
2. Beschränkung auf eine überschaubare Zahl von Medikamenten.
3. Generika-Einsatz immer dort, wo medizinisch Indikationen und Preis passen.
4. Disziplinierung des eigenen planlosen Verordnungsdranges.
5. Ein richtig indiziertes Spitzenpräparat ist manchmal besser und ökonomischer
als ein vordergründig preiswerteres, in seiner Wirkung veraltetes Generikum.
6. Äußerste Zurückhaltung bei der Herausgabe von Ärztemustern.
Sie sind meist ein reines Marketinginstrument der Pharmaindustrie.
7. Nicht jede pharmakologische Neueinführung mitmachen (Me-too-Phänomen).
8. Möglichst keine Wunschverordnungen.
9. Konsequentes Kontrollieren der Verordnungen "über den Tresen".
10. Bei Dauertherapie möglichst NR-Packungen.
Dies ist als erste Hilfe für die Kollegen im Unrechtssystem der Regresse zu verstehen.
Fazit:
Angstgesteuertes Verordnungsverhalten verprellt die Patienten.
Der Arzt sollte sich nicht gegen die Patienten vom Gesetzgeber und der KV
instrumentalisieren lassen. Das wichtigste Pfund mit dem der Hausarzt wuchern
kann, ist das Vertrauen seiner Patienten zu ihm.
Rational kontrollierte, der jeweiligen Situation angepaßte und notwendige
Arzneimittelversorgung ist auch heute noch bei Beachtung der gerade genannten
Verhaltensweisen ohne Regreßdrohung möglich. Hierbei sollte man immer bestrebt
sein, ausreichenden finanziellen Spielraum für den Einsatz auch von innovativen
Arzneimitteln bei schicksalhaften Erkrankungen zu erreichen. Ist das nicht der Fall
und kommt die Praxis in ein solches Regreßverfahren, was bei einer Grenze
von 5 % Überschreitung der Richtlinien eben leicht passieren kann, so kommt
es entscheidend auf die begründete Abwehr dieser Strafzahlungen an. Hierbei
ist die oben genannte Regreßanalyse ein unerläßliches Werkzeug.
Aber auch das muß gesagt werden, wesentliche Rationalisierungsreserven sind
nicht mehr zu bergen bei den Ärzten. Das sollte allen beteiligten Politikern,
Kassen, KVen und Patienten bekannt sein. Werden hier nicht bald Konsequenzen
gezogen, wird die Rationierung zu Lasten der Gesundheit der Patienten weiter
zunehmen. Zum Abschluß die einsichtigen Worte des ehemaligen Bundesministers
für Gesundheit Horst Seehofer: "Budgets können für einen kurzen Zeitraum
von 2-3 Jahren Rationalisierungsreserven im System bergen. Danach aber muß
man intelligentere Lösungen finden oder es kommt zur Rationierung von
Leistungen." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Eckhard Brüggemann (15.12.2000)
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