GOÄ: Quo vadis ?

Nur etwa 15 % seines Umsatzes erwirtschaftet der Hausarzt mit Leistungen nach der GOÄ, der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte. Die übrigen 85 % entfallen auf Leistungen aus dem EBM, dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab, maßgebend für Patienten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Wahrlich keine Quantité négligeable, zumal in der GKV bzw. in dem EBM durch Punktwertabsenkung, mangelnde Abrechenbarkeit hausärztlicher Leistungen und mengenbegrenzende Abrechnungsbestimmungen, trotz Ausdehnung der Arbeitszeit durch die Zunahme der pflegebedürftigen Patienten, die Gewinne in den letzten Jahren aus vertragsärztlicher Tätigkeit existenzbedrohend abgeschmolzen sind. An Schuldentilgung ist in vielen hausärztlichen Praxen nicht mehr zu denken.

Vor dem Hintergrund, freier Unternehmer zu sein, für die eigene soziale Sicherung selbst aufkommen zu müssen; eine Sicherheit, die niemals an die der betreuten Patienten heranreicht; mindestens 60 Stunden in der Woche arbeiten zu müssen, außerhalb der Sprechstundenzeiten Bereitschaftsdienst zu haben, ca. 8 mal 24 Stunden Notdienst im Jahr an Feiertagen und Wochenenden ableisten zu müssen und von dem Verdienst auch noch in relativ kurzer Zeit eine ausreichende Altersvorsorge aufbauen zu müssen:

In dieser Situation ist es für jeden Hausarzt eine Conditio sine qua non, sich um das GOÄ-Klientel zu kümmern. Denn Budgets und Punktwertabsenkung sind hier unbekannt. Dies gilt insbesondere auch für die berufspolitische Interessenvertretung der Hausärzte, die verhindern muß, daß PKV und die Beihilfe der Beamten die GOÄ immer näher an die Garotte des EBM rücken. Schlagworte hierfür sind: Ausdehnung des Standardtarifs, Einschränkung des Multiplikators und leistungsbegrenzende Ausschlüsse wie bei der GNr. 3 der GOÄ. Hierbei sitzen die Ärzte mit ihrer Strategie zwischen Baum und Borke, denn die gestiegene Lebenserwartung und die explodierenden Behandlungskosten insbesondere für die Leistungen des stationären Bereiches und der fachärztlichen Versorgung zwingen die PKV und die Beihilfe, die Kosten zu drücken.

Die PKV steht mit der GKV in Konkurrenz um die 15 % freiwilligen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung, die nur über die günstigen Tarife für die PKV zu gewinnen sind. Sollte ihr das mehr als bisher gelingen, gereicht es auch uns Ärzten zum Vorteil, weil mit jedem PKV-Patienten die Abhängigkeit von der mittlerweile wenig geliebten GKV geringer wird. Der Arzt als Freiberufler und nicht als gegängelter Kassenangestellter kann so zumindest teilweise seine ärztlichen Freiheiten retten. Da zur Zeit sowohl der EBM als auch die GOÄ novelliert werden sollen, darf an dieser Stelle noch einmal auf die Unterschiede hingewiesen werden:

EBM: Gemeinsame Verhandlungen zwischen Ärzten (KBV) und Krankenkassen; Vertragsgebührenordnungen. Kassenarztrecht (KV) - Sozialgesetzbuch V (SGB V) - Einheitlicher Bewertungsmaßstab (KV + Kassen) - BMÄ ´96 und E-GO ´96

GOÄ: Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates. Allgemeines Arztrecht (Kammer) - Bundesärzteordnung (BÄO) - GOÄ ´96

Jetzt wird klar, daß der Einfluß der Ärzte auf Gestaltung und Modernisierung der GOÄ eingeschränkt ist. In Bonn beim Gesundheitsministerium ist neben dem Sachverstand der Ärzte die Lobby der Privatkrankenversicherer und der amtlichen Beihilfestellen – 20 % der Beihilfeberechtigten sind Bundesbeamte, 80 % Landesbeamte – gefragt. Eigentlich kann es bei dieser Rechtslage niemanden wundern, daß die GOÄ der Entwicklung der Medizin immer um Jahre hinterherhinkt. Aus Sicht des BDA wäre es daher sinnvoll, wenn der "Allgemeine Teil" der GOÄ weiterhin vom Gesetzgeber verordnet, während der "Spezielle Teil", also die Leistungskapitel, zwischen Ärzten und PKV verhandelt würden. Hiermit wäre zumindest eine wesentlich schnellere Angleichung der GOÄ an die medizinische Entwicklung gewährleistet, als es bisher der Fall ist. Eine GOÄ-Novelle hat keine vorrangige Bedeutung für eine Regierung. Für sie ist das alles beherrschende Thema die Finanzierung der GKV.

Die Hausärzte jedenfalls haben klare Vorstellungen, was mit der jetzigen Novelle der GOÄ erreicht werden muß, um einerseits Abrechnungsklarheit und damit Rechtssicherheit und andererseits eine angemessene Vergütung zu ermöglichen. Hierbei sollte die Ärzteschaft (BÄK) auch unliebsamen Wahrheiten Rechnung tragen; wohl wissend, daß die GOÄ kein Instrument für die wirtschaftlichen Interessen der PKV oder Beihilfe ist! Sie ist und bleibt eine amtliche Gebührentaxe für ärztliche Leistungen. Daß diese amtliche Gebührentaxe gegenüber dem rigiden, mit Sozialabschlägen bedachten EBM so sehr ins Hintertreffen geraten ist, ist der eigentliche Skandal für den freien Berufsstand des Arztes.

Um halbwegs ungeschoren aus diesem Dilemma herauszukommen, schlagen deshalb die Hausärzte folgende Strategie für die zukünftigen Verhandlungen vor:

1. Die GOÄ sollte in eine für die ambulante Behandlung und eine für die stationäre Behandlung getrennt werden. Begründung: Die Tätigkeitsmerkmale in Klinik und Praxis sind so unterschiedlich, daß sie nicht mehr in einer Gebührenordnung zu erfassen sind. Im Krankenhaus müssen viel weitergehende Komplexierungen und Pauschalierungen erfolgen, als es bisher der Fall ist. Insbesondere bei Rechnungen aus den konservativen Fächern, z.B. Innere, Geriatrie, Neurologie, findet sich ein totales Mißverhältnis zwischen eigentlichen "ärztlichen Leistungen" und der "Technik", wobei hier besonders die Laborleistungen negativ imponieren, von der Einhaltung der Verpflichtung zur "persönlichen Leistungserbringung" ganz zu schweigen. Oft kann man sich als Insider beim Studium stationärer Arztrechnungen des Eindrucks mißbräuchlicher Leistungsausweitung und der absichtlichen Mißachtung einschlägiger Bestimmungen der GOÄ nicht erwehren. Von den unbeabsichtigten Fehlern ganz zu schweigen. Leider sind solche beanstandbare Liquidationen heute keine Ausnahme mehr.

2. Bei der Privatliquidation im Krankenhaus sollten die Wahlarztketten weitestgehend abgeschafft werden. Begründung: Die Rechnungsflut, die auf einen Patienten nach stationärer Behandlung herabstürzt, ist einfach eine Zumutung. Der Autor selbst hat dieses oft genug bei seiner Familie erlebt. Der kritischen Öffentlichkeit ist dieses Liquidationsgebaren in den Kliniken heute nicht mehr zu vermitteln! Es entspricht eigentlich auch nicht der Verantwortlichkeit der behandelnden Ärzte. Es kann deshalb nur heißen: ein Arzt stellt die Gesamtrechnung. Auf welche anderen zu Rate gezogenen Ärzte dann noch Honorar verteilt werde, ist Angelegenheit der Klinik bzw. des liquidierenden Arztes. Gegen die Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten in jedem Einzelfall, wenn Leistungen durch Dritte erbracht und abgerechnet werden, wird im Krankenhaus durchgehend und permanent verstoßen. Der häufig unbeanstandete Rechtsbruch wird hier zur Regel!

3. Im ambulanten Bereich sollte gelten: soviel Komplexierung wie möglich und soviel Einzelleistung wie nötig.

4. Das Labor sollte als beziehbare Leistung auch in der GOÄ in den gewerblichen Bereich überführt werden. Alles andere ist die Aufrechterhaltung einer klassischen Lebenslüge über persönlich erbrachte Leistungen.

5. Die GOÄ sollte in der täglichen Praxisroutine deutlich einfacher zu handhaben sein. Durch Einfachheit und Abrechnungsklarheit werden unbeabsichtigte Fehlabrechnungen vermieden und unwirtschaftlicher Mißbrauch offensichtlich. Dies bedeutete als erstes mehr Rechtssicherheit und als zweites deutlich weniger Verwaltungsaufwand bei der Rechnungerstellung.

6. Der Gebührenrahmen sollte auf logisch nachvollziehbare Multiplikatoren umgestellt werden.

Bisher gilt:
Schwellenwert nicht technisch: 2,3 technisch: 1,8 Labor: 1,15
Höchstsatz nicht technisch: 3,5 technisch: 2,5 Labor: 1,3
Standard nicht technisch: 1,7 technisch: 1,3 Labor: 1,1

Vorschlag:
Schwellenwert nicht technisch: 1,0 technisch: 1,0 Labor: 1,0
Höchstsatz nicht technisch: 2,0 technisch: 1,5 Labor: 1,0
Standard nicht technisch: 0,8 technisch: 0,6 Labor: 0,5

Dabei müßten die Punktzahlen der Leistungen entsprechend dem heutigen Schwellenwert (z.B.: 2,3 facher Satz für nicht technische Leistungen) bei durchschnittlicher Schwierigkeit angehoben werden.

1. Mengenbegrenzende Leistungsausschlüsse haben in einer amtlichen Gebührentaxe für Ärzte nichts zu suchen. Sie sind einzig und allein ein Element der GKV, wo mit einem staatlich verordneten begrenzten Gesamthonorar die Bevölkerung ausreichend und wirtschaftlich versorgt wird. Es ist und bleibt skandalös, wie in der jetzigen GOÄ z.B. durch den Leistungsausschluß der GNr. 3 dem Praxisablauf und damit der Leistungserbringung völlig widersprochen wird. Dieses muß in Zukunft vermieden werden.

2. Das Gebührenverzeichnis muß kontinuierlich einmal im Jahr aktualisiert werden. Hier sind Ärzteschaft, PKV und auch Beihilfen aufgerufen, die entsprechenden Anstrengungen zu unternehmen.

3. Die Vergütung Ost sollte endlich an West angeglichen werden.

4. Für die hausärztliche Versorgung muß unter der Rubrik "Allgemeinmedizin" ein eigenes Kapitel mit Grundleistungen erstellt werden, das insbesondere die Versorgungsnotwendigkeiten der Zukunft (z.B.: alte Menschen) abbildet. Es bleibt unverständlich, warum die Fachkollegenschaft dieses legitime Recht der Hausärzte so wenig unterstützt.

Mit diesen Vorstellungen werden die Hausärzte sich nicht nur Freunde schaffen. Man hört es förmlich schon von den Zinnen schallen: Spalter der Ärzteschaft, Totengräber des Labors in ärztlicher Hand und mangelnde innerärztliche Solidarität.
Das alles sollte die Hausärzte wenig anfechten, denn es hat den Ärzten noch nie geschadet, ungeliebte Wahrheiten zu akzeptieren und die letztlich unerbittlichen Konsequenzen selbst zu ziehen und nicht immer den Gesetzgeber durchsetzen zu lassen. Nur eine solche Einstellung zur Lösung der anstehenden Probleme ermöglicht auf Dauer Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft, die leider in manchen Bereichen ärztlichen Handelns und insbesondere der Liquidation häufig verlorengegangen zu sein scheint. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an das Liquidationsgebaren bei Kollegen und seiner Familie erinnert, das von innerärztlicher Solidarität und Kollegialität nicht mehr im entferntesten etwas ahnen läßt.


Eckhard Brüggemann (3.10.2000)



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