Gesundheitsreform 2000 von Bundesministerin Andrea Fischer (Teil I)
Wie zu erwarten: Das große Geschrei der Betroffenen

Nachdem die Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne/B 90) ein erstes Arbeitspapier zur Gesundheitsreform 2000 der Öffentlichkeit vorgelegt hat, erhob sich erwartungsgemäß umgehend das große Geschrei der tatsächlich oder vermeintlich Betroffenen. Es war auch nichts anderes zu erwarten. Eine kritische Analyse aus der Sicht des BDA-Hausärzteverbandes in zwei Teilen.

Einige Kostproben im folgenden:

CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Das Gesetz verbietet Leistungsausweitungen, während alle sonstigen Ansätze keine unmittelbar entlastende Wirkung für die Kassen hätten: "Damit wächst die Erwartungshaltung an die Budgets mit der Folge, daß diese immer enger gefaßt werden müssen. Das wiederum hat zwei verhängnisvolle Konsequenzen: Zum einen führt diese Form der Budgetierung zur Rationierung und beeinträchtigt somit in nicht zu verantwortender Weise die medizinische Versorgung kranker Menschen, und zum anderen werden dadurch Tausende von Arbeitsplätzen im sozialen Dienstleistungssektor Gesundheit gefährdet." Im übrigen drohe den Kassen nach Aussagen von CDU-Experten im Herbst ein milliardenschweres Defizit. "Wissen die Rot/Grün-Spezialisten, daß sie für eine solche Gesundheitsreform im Bundesrat keine Mehrheit haben?"

Bundesärztekammer: Die diesen Entwurf zu verantworten hätten, müßten ein abgrundtiefes Mißtrauen gegen Eigenverantwortung und Selbstverwaltung haben, wie man es sonst nur von einem Obrigkeitsstaat kennt. Wenn die Politiker ein anderes Gesundheitswesen haben wollten, wenn sie bewußt Qualitätseinbrüche, Leistungseinschränkungen und Wartelisten in der medizinischen Versorgung in Kauf nehmen wollen, dann muß das offen und ehrlich mit der Bevölkerung diskutiert werden und nicht den Ärzten überlassen werden.

KBV: Die Bundesregierung riskiert mutwillig den Zusammenbruch der Arzneimittelversorgung in weiten Teilen Deutschlands. Schorre wörtlich: "Wir haben jetzt schon viel zu wenig Geld für Medikamente. Staatlich verordnete Rationierung ist also vorprogrammiert."

Deutsche Krankenhausgesellschaft: Die DKG hat den Arbeitsentwurf als patientenfeindlich abgelehnt. Wenn die Vorstellungen zur Ausgestaltung des Globalbudgets Wirklichkeit werden, kommt die kalte Rationierung von Gesundheitsleistungen. Die einseitige Vorgabe einer Ausgabengrenze für den stationären Bereich durch die Krankenkassen verhindere medizinisch leistungsgerechte Krankenhausbudgets. Die Krankenhäuser blieben auf der schon jetzt erkennbaren Mehrinanspruchnahme von Krankenhausleistungen sitzen.

Apotheker: Der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Günter Friese wandte sich gegen die geplante Spaltung in herkömmliche Versorgung und integrierte Form wie Praxisnetze. Die geplanten Boni, die etwa der erhalten soll, der immer erst zu seinem Hausarzt geht, zerstören die Solidarität der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Hoffnungen auf geringere Kosten durch solches "Managed-care" seien trügerisch. In den USA seien die Ausgaben der Kassen zwar kurzfristig gedämpft worden, die Gesamtausgaben aber durch Beteiligung neuer Akteure wie Rückversicherung und Vertragsmakler gestiegen.

Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen: Konstruktive Zusammenarbeit bei der Gesundheitsreform 2000 haben die Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenkassen Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer bei einem Gespräch am 3.5.1999 zugesichert. Zwar seien eine Reihe von Regelungen des vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Vorentwurfs diskussionsbedürftig, nach Ansicht der Spitzenverbände bestehe aber die Aussicht auf eine Reform aus einem Guß.

Berufsverband Deutscher Internisten (BDI): Für den BDI steht fest, daß die Regierung mit diesem Gesetz versucht, eine ganze Arztgruppe aufs Abstellgleis zu drängen. Dieser Plan widerspreche dem Wunsch der meisten Versicherten, die den gut weitergebildeten Facharzt für Innere Medizin als Ansprechpartner (Hausarzt) bevorzugten. BDI-Präsident Prof.Dr. Wolfgang Wildmeister ist enttäuscht, daß das Gesundheitsministerium alle Gesprächsangebote des BDI bislang ignoriert hat.

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA): Er sieht die Strukturreform des Gesundheitswesens bereits gescheitert, mißt man den Gesetzentwurf an den selbstgesteckten Zielen der Regierung, mehr Qualität und Effizienz im Gesundheitswesen zu etablieren. Der Entwurf greife auf Instrumente zurück, die die qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung von GKV-Versicherten gefährdet. Qualitative Aspekte der Arzneitherapie werden ausgeblendet und der therapeutische Fortschritt behindert. Faktoren wie Morbiditätsunterschiede, Einkommensstruktur und Lebensgewohnheiten würden ignoriert.

Vertragsärztliche Bundesvereinigung (Dr. Werner Baumgärtner): Er verurteilt die schwerwiegenden Eingriffe der Politik in die Rechte der Kassenärztlichen Vereinigungen, die zu Ausführungs- und Kontrollorganen degradiert würden. Undurchsichtige Budgetstrukturen und Intregationsmodelle gefährdeten die bewährte wohnortnahe haus- und fachärztliche ambulante Versorgung.

Probleme "aussitzen" gilt nicht mehr!

Insbesondere die kritischen Stellungnahmen innerhalb der Gebietsärzteschaft reihen sich nahtlos in die lautstarken und wenig zimperlichen Protestveranstaltungen und die Trillerpfeifentaktik in Gegenwart der Ministerin unserer Körperschaften ein. Das undifferenzierte "Dreinschlagen" auf die Ministerin und ihr vorläufiges Arbeitspapier enthebt aber die Ärzteschaft nicht, sich mit den finanziellen und insbesondere auch strukturellen Problemen im deutschen Gesundheitswesen auseinanderzusetzen. Der BDA hat in den letzten Jahren immer wieder auf diese offene Flanke der Ärzteschaft hingewiesen. Da reicht es keineswegs, wie es seit Jahren bei der KBV üblich ist, die Probleme auszusitzen und damit vor sich herzuschieben, sondern einschneidende Reformen, die auch schmerzliche Verletzungen setzen werden, sind dringend erforderlich. Dabei hat die Gesundheitsministerin das im Koalitionsvertrag gesteckte Ziel keineswegs aus den Augen verloren. Jedoch die Wege zu diesem Ziel bedürfen einer intensiven Diskussion, damit nicht auch diese Reform, wie schon viele andere vorher, in der Sackgasse enden. Dabei hat die Gesundheitsministerin keineswegs die im Koalitionsvertrag festgelegten Ziele aus dem Auge verloren, aber wie so häufig kann man über den Weg zum Ziel heftig streiten. Es darf auch nicht vergessen werden, daß es sich bis jetzt ja nur um ein Arbeitspapier, welches durchaus noch diskussions- und änderungswürdig ist, handelt. Dabei ist es Aufgabe eines verantwortungsbewußt handelnden Berufsverbandes, sich mit einem solchen Thesenpapier wirklich ernsthaft und ohne überschießende Emotionen auseinanderzusetzen. Dies hat in vorbildlicher Weise der Bundesvorsitzende des BDA Klaus Dieter Kossow in seinem Bericht zur Lage anläßlich der Delegiertenversammlung, aber auch die Versammlung selbst in ihrer ernsthaften Diskussion, getan.

Kommentar des BDA zum Papier der Bundesgesundheitsministerin

Im folgenden will ich versuchen, die mehrstündige Diskussion auf die Kerngedanken und Aussagen des BDA zu diesem Arbeitspapier zusammenzufassen. Für den BDA stand und steht die Frage im Vordergrund, was aus der Zusage geworden ist, die hausärztliche Versorgung zu stärken, und inwieweit seine Forderungen zur Verwirklichung dieser Zielsetzung Berücksichtigung gefunden hat. Hierbei darf jedoch nicht vergessen werden, daß BDA-Mitglieder nur Hausärzte sind, sondern sie sind auch Vertragsärzte und müssen sich so auch für eine Versorgungsstruktur verantwortlich fühlen, welche die berechtigten Interessen der Patienten in einer guten und finanziell tragbaren Versorgung berücksichtigt. Äußerst skeptisch beurteilt der BDA die Globalbudgetierung und die Fortführung der Arzneimittelbudgets mit der Regreßandrohung bei Überschreitung. Diese Regelungen sind vom Grundsatz her aber auch hinsichtlich der Verfahren nicht akzeptabel. Hiermit wird der ambulante Sektor wieder einmal einseitig belastet. Sollte es auch diesmal dem Bundesgesundheitsministerium nicht gelingen, ein gerechtes Gleichgewicht zwischen Wirtschaftlichkeit, ansetzend im Krankenhaus, und der Praxis zu finden? Dazu kommt, daß den Krankenkassen ein durchgreifendes Regelungsrecht für die Kapazität der stationären Versorgung verwehrt ist, obwohl sie die Verantwortung für das Globalbudget haben. Dies führt zu weiteren überproportionalen und damit ungerechten Verknappungstendenzen bei Mitteln für die ambulante Versorgung, die natürlich auch die Hausärzte treffen werden. Des weiteren wird eines der gravierendsten Probleme im deutschen Gesundheitswesen ebenfalls nicht angegangen. Dies ist die Einführung eines morbiditätsbezogenen Risikostrukturausgleiches zwischen den Krankenkassen unter Einbezug des West-Ost-Ausgleiches und die Finanzierung des Nachholbedarfes bei der Honorierung unserer Kollegen in den neuen Bundesländern. Des weiteren sieht der BDA es als sehr beunruhigend an, daß das Arzneimittelverordnungsvolumen im ersten Quartal als Folge der Grippewelle wesentlich höher ausgefallen ist als vorausgeschätzt und daß durch die drastische Vermehrung der Fallzahlen und des Verordnungsvolumens, insbesondere bei innovativen Präparaten im fachärztlichen Sektor, wieder eine strukturelle Mengenkomponente etabliert ist. Beides führt zu einer doppelten Dynamisierung der Arzneimittelkosten wegen Ausweitung der Menge und wegen Steigerung des Preises pro Verordnung über die Strukturkomponente. Dieses Szenario macht es nach Aussagen des BDA-Bundesvorsitzenden Dr. Kossow für populistische Verbandspolitiker, insbesondere solche, die unbedingt wiedergewählt werden wollen, beinahe zur Pflicht, mit aller Kraft, die nach Jahren des Chaos im Gesundheitswesen noch geblieben ist, einfach draufzuhauen auf alle, die für diesen Gesetzentwurf verantwortlich und mitverantwortlich sind.

Dr. med. Klaus-Dieter Kossow, Bundesvorsitzender BDA-Hausärzteverband:
"Ich meine, daß der BDA-Bundesvorstand gut beraten war, den Landesverbänden Art und Umfang von Protesten freizustellen, insbesondere auch keine Empfehlung zur Wahl der Koalitionspartner auszusprechen und sich selbst mit Protesten zurückzuhalten. Statt dessen sollten wir auch in der weiteren Diskussion und politischen Beratung über die Gesundheitsstrukturreform 2000 nüchtern analysieren und die Position der Koalition darauf überprüfen, ob sie mit unseren politischen Zielen übereinstimmen, oder zumindest eine Tendenz zur Annäherung an unsere Ziele aufweisen. Kommunikation und Verhalten sollten wir darauf ausrichten, daß wir möglichst viel von dem bekommen, was wir haben möchten."

Gravierdende Hilflosigkeit der Politiker

Es kann doch nicht übersehen werden, daß es nicht in erster Linie die gerade aktuell regierenden politischen Parteien sind, die uns das Leben schwer machen, sondern ganz unabhängig von ihnen sind es die Finanzierungsprobleme und die Hilflosigkeit der Politiker ihnen gegenüber. O-Ton BDA-Hausärzteverband-Bundesvorsitzender Dr. Kossow: "Es erscheint mir daher klüger, davon auszugehen, daß man kurzfristig gegen die globale Begrenzung der Ausgaben für Gesundheitspflege und Krankenbehandlung nicht viel unternehmen kann. Deshalb erscheint es mir sinnvoller, die Chancen für strukturelle Änderungen zu nutzen, um die Position der Hausärzte in unserem System so zu stärken, daß sie nicht die Hauptleidtragenden der Budgetierung sind, wie dies insbesondere als Folge der Seehofer-Reform der Fall war, weil man damals bereits abgeschlossene hausarztfreundliche Verträge kraft Gesetzes kassiert hat und später dann bei gesetzlich begrenzten Mitteln einen Vorrang für die Selbstverwaltung eingeführt hat, der fast schicksalhaft die Hausärzte zu kurz kommen ließ, weil sie Opfer fachärztlicher Mehrheiten wurden. Wenn die Politiker schon nicht bereit sind, was eigentlich ihre moralische Pflicht wäre, den begrenzten Mitteln auch Regeln zur Leistungsbegrenzung beizugeben und den Gebrauch der Versichertenkarte einzuschränken, wenn sie schon nicht Manns genug sind, im Zusammenhang mit der Budgetierung die Denkgesetze zu wahren und dem Volk die zwingende Logik derselben zu erklären, die bekanntlich auf Rationierung hinausläuft, dann wollen wir wenigstens als Hausärzte in diesem System so stark sein, daß wir einen Vergütungsanteil erhalten, der unserem Beitrag an der Sicherstellung der ambulanten Versorgung entspricht."

BDA-Landesverbände sind gefordert

Eine breite Diskussion in der Delegiertenversammlung nahm das Konzept für die künftige Struktur für die Kassenärztlichen Vereinigungen ein. Vertreterversammlungen, Länderausschuß und Selbstverwaltungsvorstände sollen abgeschafft werden. An ihre Stelle treten ein hauptamtlicher Vorstand, der aus drei Mitgliedern besteht. An Stelle der Vertreterversammlung tritt ein Verwaltungsrat, der je nach Größe der KVen zwischen 30 und 50 Mitglieder zählt, die nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Der Verwaltungsrat wird ausschließlich durch Hausärzte, Fachärzte und Psychologen gewählt. Eine außerordentliche Mitgliedschaft in den Kassenärztlichen Vereinigungen gibt es künftig nicht mehr. Damit ist das Risiko für Hausärzte, durch eine Koalition von Fachverbands- und Marburger Bund-Vertretern - z.B. in Fragen der Weiterbildungsförderung - überstimmt zu werden, deutlich geringer geworden, so weit die Hausärzte ihre Chancen nach dem Verhältniswahlrecht nutzen, eigene Listen bilden, und nicht auf Facharztlisten kandidieren. Hier erwächst den BDA-Landesverbänden eine nicht zu überschätzende Verpflichtung und Aufgabe, denn sie haben die Wahlkämpfe zu führen. Leider kann nicht übersehen werden, daß damit die eigentliche Forderung des BDA nach einer Hausarzt-Sektion oder -Fraktion mit eigenständigem Verhandlungsmandat noch nicht erfüllt ist. Das sollte nach Vorstellung des BDA im Gesetz nachgebessert werden.

Wird die "hausärztliche Versorgung" wirklich gefordert?

Einige Textentwürfe des Bundesgesundheitsministeriums verraten deutlich die ernsthafte Absicht, die hausärztliche Versorgung zu fördern. Dies gilt besonders für den § 73, der eine Neufassung enthält. Danach nehmen an der hausärztlichen Versorgung Allgemeinärzte und Praktische Ärzte, Kinderärzte sowie die Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung teil, die gegenüber dem Zulassungsausschuß ihre Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung erklärt haben. Diese Neufassung des § 73 macht deutlich, daß künftig die Allgemeinärzte die Gewährleistungsträger der hausärztlichen Versorgung sind. Andere Ärzte sind ihnen nur gleichgestellt, wie es im Gesetzestext heißt. Internisten können dann zukünftig nur noch in die hausärztliche Versorgung eintreten, wenn im jeweiligen Niederlassungsbereich keine Zulassungsbeschränkungen für Hausärzte angeordnet sind. Die immer wieder vom BDI geforderte hausärztliche Kompetenz des weitergebildeten Internisten wird damit Geschichte. Übrigens eine Konsequenz, die der BDA dem BDI bei den Verhandlungen über das Verschmelzungsmodell der Weiterbildung schon damals sehr deutlich gesagt hat. Dem BDI sei deshalb ins Stammbuch geschrieben: Es macht keinen Sinn, immer wieder nachzukarten. In diesem Fall sind die Würfel gefallen. Des weiteren ist im Gliederungsvertrag nach § 73 zu bestimmen, daß ein den Versicherten behandelnder Arzt, der nicht sein Hausarzt ist, in Verbindung mit der Abrechnung seiner Leistungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung den Hausarzt des Versicherten benennt und die Übermittlung der Befunde an den Hausarzt dokumentiert, wobei die Umsetzung des § 73 für die Selbstverwaltung obligatorisch wird, also nicht mehr - wie bisher - ausgesessen werden kann. In der Diskussion auf der Delegiertenversammlung werden immer wieder Zweifel laut, ob denn diesmal die Selbstverwaltung den § 73, also die klare Aufgabendefinition für die hausärztliche und die spezialistische Versorgungsebene, vornehmen wird. Man wird gespannt sein, welche Tricks und Finten interessierte Fachärzte und ihre Repräsentanten in den KVen sich diesmal einfallen lassen, die Patienten am Hausarzt vorbei auch in die subspezialisiertesten Facharztpraxen zu führen. Aber dies wird schwieriger werden, denn ein § 73b schafft die rechtliche Grundlage für einen Versichertenbonus in der hausärztlichen Versorgung, allerdings auch wieder nur mit dem Vorrang für die Selbstverwaltung.

Freie Arztwahl soll erhalten bleiben, aber mit "Hausarztwahl"

Es bleibt zwar prinzipiell bei der freien Arztwahl, aber es wird davon ausgegangen, daß der Versicherte einen Hausarzt wählt. Nimmt er wegen seiner freien Arztwahl einen anderen Arzt als seinen gewählten Hausarzt in Anspruch oder einen sonstigen Leistungserbringer, so hat er diesen über seinen Hausarzt zu unterrichten. Damit besteht sowohl die Pflicht des Facharztes, den gewählten Hausarzt in der Abrechnung zu dokumentieren und die Übermittlung der Daten zu bestätigen, als auch die Pflicht des Versicherten gegenüber den Fachärzten und gegenüber anderen Leistungserbringern, den gewählten Hausarzt zu benennen. Damit soll die Kooperation zwischen Hausärzten und Fachärzten wieder verbindlich gemacht werden. Man wird gespannt sein wie das funktioniert, aber besser als die jetzige Situation ist es allemal. Diese Regelung ist sicherlich nicht optimal für die Hausärzte und wird den Patientenfluß nicht so kanalisieren, wie wir Hausärzte uns das vorstellen. Mit einer kleinen Änderung der Krankenkassenchipkarte wäre sicherlich mehr bewirkt worden, als mit einem fragwürdigen und nicht zwingend vorgeschriebenen Bonussystem. Aber hier ist ja auch das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ganz unabhängig davon können die Krankenkassen die Tätigkeit von weiteren Subspezialisten von einer Überweisung abhängig machen. Bisher gilt dies bekanntlich nur für Radiologen und Laborärzte, Histologen und Zytologen. Der BDA hätte sich hier eigentlich eine konsequentere Lösung gewünscht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Nach § 81 müssen in den Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen künftig Bestimmungen über die Fortbildung der Hausärzte enthalten sein. Eine besondere Fortbildungspflicht für Hausärzte kann durch den BDA durchaus akzeptiert werden, wenn die Leistungsfähigkeit der Hausärzte damit gesteigert wird. Allerdings ist dies nicht zum Nulltarif zu haben. Pflichtfortbildung auf dem Gebiet der hausärztlichen Tätigkeit kraft Satzung der KV muß bezahlt werden, wie dies im übrigen in Holland und England auch geschieht.

Arzneimittelbudgets

Die Arzneimittelbudgets sind ein Ärgernis, weil sie ganz überwiegend auf dem Rücken der Hausärzte ihre fatale Wirkung zeigen werden. Dennoch ist die Einführung für den Vergleich der Budgets einer Alters- und Geschlechtsstandardisierung, wie sie der BDA in der Kassenärztlichen Wirtschaftlichtkeitskontrolle seit Jahrzehnten fordert, ein großer Fortschritt. In dieser Aussage sieht der BDA natürlich keine Akzeptanz irgend eines Arzneimittelbudgets oder sonst eines Global- oder Partialbudgets. Budgets sind immer betonierte Gefängnisse, die über kurz oder lang zur Rationierung von Leistungen führen müssen. Der BDA muß den Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums, welche das Arbeitspapier ausgearbeitet haben, durchaus bescheinigen, Strategie und Detailkenntnisse in Sachen § 73 an den Tag gelegt zu haben. Die Verknüpfung zwischen dem Gliederungsauftrag und den Vergütungsregelungen im EBM stellt einen ganz entscheidenden Durchbruch im Sinne der Forderung des BDA dar. Das gilt auch für den Honorarverteilungsmaßstab. Künftig soll die Kassenärztliche Vereinigung die Gesamtvergütung unter die Vertragsärzte getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung verteilen. Damit ist ebenfalls eine wesentliche Forderung des BDA umgesetzt worden.

Dr. med. Eckhard Brüggemann, Mitglied im Bundesvorstand BDA-Hausärzteverband:
"Die rechtlichen Grundlagen für die Verträge zur Vergütung der Hausärzte für den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für Hausärzte und für die hausärztliche Honorarverteilung entsprechen weitgehend den Forderungen des BDA. Diesen Status im Arbeitspapier gilt es nun argumentativ und taktisch zu verteidigen und in Bezug auf die hausärztliche Verhandlungskompetenz (Sektion/Fraktion) zu verbessern."

Im übrigen schlägt der BDA vor, zunächst abzuwarten, ob die Umsetzung des § 73 diesmal gelingt, ob es auch gelingt, Richtgrößen und andere Regelungen zur Anwendung des Arzneimittelbudgets so zu formulieren, daß die Hausärzte wirksam die Arzneimittelmenüs koordinieren, und ob die patientenbezogene Dokumentation in der Hausarztpraxis tatsächlich zusammengeführt wird. Denn nur dann, wenn dies alles etabliert ist, haben die Hausärzte den Datenfundus für ein umfangreiches Arzneimittelbuget.

Teil II: Die wichtigsten Ziele des Bundesgesundheitsministeriums für die Hausärzte
Der Allgemeinarzt 11/1999

An dieser Stelle muß noch einmal daran erinnert werden, daß Voraussetzung für eine sorgfältige Epidemiologie die Erfassung großer Patientenzahlen in einem langfristig verläßlichen Dokumentationssystem ist. Ein solches ist nur durch ein Einschreibsystem bei Hausärzten zu begründen. Ohne diese Maßnahme bekommt man in Deutschland keine epidemiologischen Daten, mit der man die Qualitätssicherung bei Langzeiterkrankungen verbessern kann. Dies gilt auch für die Arzneimitteltherapien. Im übrigen können entsprechende Studien aus anderen europäischen Ländern durchaus übernommen werden, wenn im Zusammenhang mit der Arzneimittelanwendung eine hinreichende Einschränkung der freien Arztwahl, wie sie in diesen Ländern besteht, etabliert wird. Hierzu ist zur Zeit weder der Gesetzgeber noch die Fachärzteschaft bereit. Leider, muß man sagen.

Zur Sichestellung des Notfalldienstes schließen die Kassenärztlichen Vereinigungen nach dem Gesetzentwurf mit den zugelassenen Krankenhäusern, an denen Notfallambulanzen bestehen, Verträge über die Einzelheiten der Zusammenarbeit bei der Gestaltung und Durchführung des Notdienstes. In den Verträgen ist insbesondere die Tätigkeit von Vertragsärzten in der Notfallambulanz des Krankenhauses zu ermöglichen. Die ambulante Notfallversorgung soll zwischen den Vertragsärzten und den Krankenhäusern aufgeteilt werden. Im Gegensatz zu der Abstimmung der Patienten mit den Füßen zugunsten der Fachärzte, die vom BDA stets begründet in Zweifel gezogen wurde, kann niemand daran vorbeischauen, daß insbesondere in den Ballungsgebieten zunehmend notfallversorgungsbedürftige Patienten durch das Krankenhaus behandelt werden. Hier hat die Abstimmung mit den Füßen die Stellung der Krankenhausambulanz gestärkt und die der KV in den Ballungsgebieten trotz des etablierten Notfalldienstes geschwächt. Nun folgt die politische Konsequenz in Gestalt der Öffnung der Krankenhäuser in aller rechtlichen Form.

Eines der wichtigsten Ziele des Gesundheitsministeriums ist es, die bisherige starre Aufgabenteilung zwischen der ambulanten und stationären Versorgung zu durchbrechen. Hierzu sollen integrierte Versorgungsformen zwischen Haus- und Fachärzten, zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringern sowie zwischen ambulantem und stationärem Bereich geschaffen werden. Die Integrationsversorgung soll eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende und integrierende Versorgung der Versicherten ermöglichen. Ziel ist es dabei, eine interdisziplinäre Versorgung zu erreichen, die mindestens die hausärztliche Versorgung einschließt. Hierbei geht es dem Gesundheitsministerium nicht um eine bloße Förderung der Vernetzung von Fachärzten, wie es offensichtlich in einigen jetzt schon bestehenden Netzen der Fall ist. Vielmehr ist die Förderung der hausärztlicher Versorgung auch in der Integrationsversorgung sichergestellt, weil zumindestens die hausärztliche Versorgung im Sinne des § 73 in diese eingeschlossen sein muß. Übrigens, auch dagegen hatte sich die KBV gesträubt, als der BDA diese Forderung stellt. Da die Integrationsversorgung immer obligatorisch eine hausärztliche Tätigkeit im Sinne des § 73, also mit umfassender Koordinationsfunktion des Hausarztes, einschließt, wird dadurch auch die Position des Hausarztes gestärkt. Dr. Kossow: "Die Absicht ist hervorragend aber nicht neu, die Umsetzung sehr schwierig."

Mit diesem Integrationsmodell ist ein langfristiges Grundproblem, nämlich die Vorschaltung niedergelassener Fachärzte vor die Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, eigentlich gelöst, wenn die Hausärzte die Integrationsaufgaben innerhalb der Integrationsversorgung nach dem § 73 übernehmen müssen und die Beteiligung der Krankenhäuser an der Integrationsversorgung durch Binnenvertrag verbindlich geregelt ist.

Fazit:
1. Nicht akzeptieren kann der BDA das Globalbudget und seine Berechnung ohne gleichzeitige Festlegung des Leistungsumfanges durch den Gesetzgeber.
2. Nicht akzeptieren kann der BDA die nach wie vor nicht ausreichende Einbeziehung des Krankenhaussektors in die notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen.
3. Nicht akzeptieren kann der BDA die Arzneimittel-Positivlisten, so lange es in Deutschland keine gesicherte Analyse und Bewertung der Arzneimitteltherapie im ambulanten Bereich und insbesondere im Bereich der hausärztlichen Versorgung gibt.

Als positiv zu bewerten ist aus Sicht des BDA:
1. Die Absicht, einen eigenständigen Gesamtvergütungsanteil für den hausärztlichen Versorgungsbereich zu sichern, auch wenn dem BDA das Verfahren nicht gefällt, wobei aber auch wiederum dabei positiv vermerkt werden muß, daß die Aufteilung der Gesamtvergütung nach bundeseinheitlich festgelegten Kriterien erfolgen soll.
2. Die Tendenz, die Mitsprachemöglichkeit der Hausärzte in den Körperschaften abzusichern, auch wenn nach Meinung des BDA die Einführung des Verhältniswahlrechts dafür alleine nicht genügt. Hier wird es aber entscheidend auf die Ausgestaltung des Wahlrechts ankommen und vor allem auf das Zusammenwirken aller Regelungen im endgültig beschlossenen Gesetzestext.
3. Grundsätzlich die Absicht, die integrierte Versorgung zu fördern und dabei ganz besonders die Entscheidung, für jede integrierte Versorgung die Gliederung gemäß § 73 SGB V verpflichtend vorzuschreiben.
4. Die Absicht, die hausarztorientierte Versorgung durchzusetzen. Wichtig ist dabei die Entscheidung, die Versicherten durch einen finanziellen Anreiz zur Wahl eines Hausarztes zu bewegen. Ob die jetzt vorgesehene Bundesregelung als Kann-Leistung der Kassen der richtige Weg ist, wird vom BDA bezweifelt. Wesentlich ist zunächst jedoch die Erkenntnis des Gesundheitsministeriums, daß finanzielle Anreize notwendig sind, wie auch analog bei der integrierten Versorgung diese Regelung zu befürworten ist.
5. Die Absicht, die Informations- und Berichtspflichten der Fachärzte zu verschärfen und die Möglichkeit für Kassen zu schaffen, per Satzung festzulegen, welche Fachärzte ohne bzw. nur mit Überweisung aufgesucht werden dürfen.
6. Die vorgesehene Neuorganisationsstruktur der KBV und der KVen in der vorgesehenen Fassung bereits die Positionen der Hausärzte verbessert. Sie wäre voll durch den BDA akzeptabel, wenn vermieden würde, daß Fachärzte für Hausärzte verhandeln können (eigene Fraktion mit eigenem Verhandlungsmandat).
7. Die Erweiterung der Zulassung und Bedarfszulassung. Sie sind eindeutig darauf ausgerichtet, in Zukunft ausschließlich den Allgemeinarzt mit hausärztlichen Aufgaben zu betrauen. Internisten kommen hierfür in Frage wenn es nicht genug Hausärzte gibt. Dies ist aber unwahrscheinlich, weil die finanzielle Förderung der allgemeinmedizinischen Weiterbildung über den 31.12.2000 hinaus fortgesetzt werden soll.

Nach einer jeder Zeit leidenschaftlichen aber doch fairen Diskussion innerhalb der Delegierten des BDA mit dem Bundesvorstand waren sich alle Damen und Herren darin einig, daß dieses Arbeitspapier unbeschadet seiner nichtakzeptablen Budgetierungen, durchaus für den BDA eine Grundlage bildet, beharrlich und konsequent weiterhin mit den politischen Entscheidungsträgern im Gespräch zu bleiben. Der BDA-Bundesverband drischt nicht drauf sondern argumentiert.

Diese Politik ist von der Delegiertenversammlung anerkennenderweise einstimmig bestätigt worden. Das stärkt den Rücken für die kommenden anstrengenden und verantwortungsschweren Verhandlungen.


Eckhard Brüggemann (4.2.2000)



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