Nebelkerzen der Fachärzte

In der Diskussion um die Strukturreform 2000 und der Stärkung des Hausarztes wird die Nervosität unter den Spezialisten immer deutlicher spürbar. Kein Argument ist verschroben genug, um nicht die eigene aus Sicht des BDA falsche Position zu untermauern, und die sachliche Diskussion mit den Politikern zu vernebeln. Dabei wird hier häufig nur leeres Stroh gedroschen.

Um ein wenig Licht in den spezialistischen Argumentationsnebel zu bringen, sollen im folgenden die "Totschlagargumente" der Fachkollegen auf ihre Substanz abgeklopft werden.

1. "Der BDA will die 'freie Arztwahl' abschaffen."

Diese Behauptung ist falsch. Im Rahmen des freiwilligen Hausarzttarifes und der begleitenden Einschränkung des Chipkartengebrauches hat der Patient auch weiterhin die freie Arztwahl des Arztes in der hausärztlichen Versorgungsebene; bei Überweisung ebenfalls auch in der nachgeordneten ambulanten spezialistischen Ebene. Die Libertinage, den Einstieg in die ärztliche Versorgung in allen Ebenen als Patient selbst bestimmen zu können, entfällt allerdings. Sie ist weder aus qualitativen noch aus finanziellen Gründen haltbar.

2. "Der von den Hausärzten behauptete Chipkarten-Tourismus und -Mißbrauch ist verschwindend gering. Jedenfalls muß der Gebrauch der Versichertenkarte nicht eingeschränkt werden."

Richtig ist, daß das sogenannte "Doktor-Hopping", also das mehrfache Aufsuchen von Ärzten gleicher Fachrichtung sicherlich nur begrenzt stattfindet. Es kommt aber auch durch diesen Vorgang zu Geldverschwendung; ohne die bekannt gewordenen exzessiven Einzelfälle überbewerten zu wollen. Viel entscheidender ist die Inanspruchnahme der Ärzte unterschiedlicher Fachgruppen ohne koordinativen Hausarzt - jeder Patient sein eigener Case-Manager. Genau dieses Verhalten bedeutet Verlust an Man-Power und Ressourcen und es verhindert eine Behandlung des Patienten in seiner Gesamtpersönlichkeit. Dies wiederum bedeutet trotz des "Konzerts der Spezialisten", die sich dem Patientenproblem widmen, Qualitätsverlust in der Problemlösung.

3. "Die Hausärzte sind gar nicht in der Lage, aufgrund ihrer inhomogenen Zusammensetzung und sehr unterschiedlichen Weiterbildung, die Aufgaben in einem 'Primärarztsystem' kompetent zu leisten."

Diese Aussage ist zunächst einmal schamlos, da diejenigen, die den Hausärzten mangelnde Qualifikation absprechen, alles dafür getan haben, die Hausärzte, wenn schon nicht völlig aussterben zu lassen, ihnen jedoch die Qualifizierung möglichst zu erschweren. In diesem Zusammenhang nur einige Schlagworte:

- Kampf um die Pflichtweiterbildung
- Allgemeinmedizin in Forschung und Lehre
- Weiterbildungsstellen in Klinik und Praxis
- die meiste Arbeit, die meiste Präsenz, die Kärrner-Arbeit, die längsten Arbeitszeiten, aber der geringste Lohn.

Noch haben die Hausärzte im Durchschnitt eine Weiterbildungszeit von 4 ½ Jahren, die zugegebenermaßen manchmal nicht unbedingt in idealer Weise auf die hausärztliche Tätigkeit hinführte. Aber das ist ja mit der 5jährigen Weiterbildung ab 01.01.1999 beendet.

In diesem Zusammenhang muß auch gefragt werden, ob die operativ-klinischen Abteilungen : Urologie, Gynäkologie, Orthopädie und HNO-Heilkunde, die sich dann niederlassenden nicht operierenden Fachkollegen auf ihre ambulante Tätigkeit tatsächlich besser vorbereiten, als die weitaus meisten Hausärzte auf ihre Tätigkeit.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Das gilt insbesondere für die Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände (GFB) und den Berufsverband Deutscher Internisten (BDI).

Die Hausärzte werden die ihnen zuwachsenden Aufgaben in einem hausarztgestützten Versorgungssystem leisten und bewältigen. Die ständige Diskriminierung und das Absprechen von Kompetenzen sollte aus wohlverstandenem Eigeninteresse von den Spezialisten schleunigst beendet werden. Die Gesamtärzteschaft hat schon jetzt durch diese fatale Diskussion Schaden genommen.

4. "Der BDA will ein Primärarztsystem."

Diese immer wiederholte Behauptung ist eine freche Lüge. Der BDA will ein vom Patienten freiwillig zu wählendes hausarztzentriertes Versorgungssystem mit Berichtspflicht. Dieses muß von den Krankenkassen angeboten werden, wobei ein Bonus oder Malus die Entscheidung des Patienten sanft beeinflussen sollte. In einem solchen System hat der Hausarzt auch die Koordination des Arzneimittelmenüs vorzunehmen. Das bedeutet die Übernahme der Verantwortung der Dauermedikation. Den Fachärzten bleibt die Erstverordnung mit entsprechenden Richtgrößen. Echte Primärarztsysteme sind staatliche Zwangssysteme. Das möchte auch der BDA nicht.

5. "Primärztsystem oder Hausarzttarife sind - wenn schon nicht teurer - so zumindest keineswegs günstiger als die jetzige Versorgung."

Diese Behauptung, das vielleicht wichtigste Argument der Gegner des BDA, ist schlichtweg durch die Praxis widerlegt. Leider existieren in Deutschland nur Daten aus der privaten Krankenversicherung (PKV) im Rahmen der hausarztgestützten Elementartarife. Die wirtschaftlichen Vorteile dieser Tarife werden inzwischen von einer Reihe von PKV's genutzt, da diese Tarife durch Beitragsrabatte ausgesprochen für Neukunden sind.

Von fachärztlicher Seite werden nichts desto trotz Einsparmöglichkeiten bestritten, da die meist jungen PKV-Mitglieder mit denen der GKV nicht zu vergleichen seien, so ihr Argument.

Aber ein zumindest in wesentlichen Bereichen vergleichbares Versorgungssystem findet man in der Schweiz, die im übrigen bei der Etablierung von Hausarztsystemen - auf freiwilliger Basis - sehr viel experimentierfreudiger und auch weiter fortgeschritten ist.

Nach Untersuchung der "Sana Care AG" ist eindeutig belegt, daß mit Hausarztsystemen im Vergleich zu herkömmlichen Versorgungssystemen im Durchschnitt 21,5 % der Kosten eingespart werden können. Die Grundlagen der Berechnung basierten auf der Analyse von 22 Hausarztnetzen. Nach Aussagen eines für die Netze verantwortlichen Regionalleiters von Sana Care basiert der Erfolg der Hausarztsysteme auf einer "sinnvollen, ganzheitlichen, koordinierten und effizienten Betreuung durch den Hausarzt, der gezielt Abklärungs- und Behandlungsaufträge erteilt. Doppelspurigkeit, unnötige Untersuchungen und Therapien! lassen sich so vermeiden. Der Medizintourismus! wird unterbunden."

Einsparungen könnten auf allen Stufen der Behandlungskette realisiert werden. Der größte Teil der Einsparungen wird aber nach Aussagen der Sana Care AG durch Überweisungskontrolle erzielt.

Der Hausarzt-Versicherte hat den Anspruch auf gleiche kassenpflichtige Leistungen wie der Normalversicherte, sofern der Hausarzt diese Leistungen für sinnvoll bzw. angemessen hält. Ausnahmen gab es keine. Die Aussagen der "Sana-Care-AG" sind deshalb so interessant, da die verglichenen Kollektive nach Alter und Geschlecht gleichgemacht wurden. Auch in Deutschland ist unbestritten, daß Alter und Geschlecht die entscheidenden Ausgaben-Determinanten sind. Die Mitglieder der Vergleichskollektive stammen alle aus der gleichen Region.

Fazit: Die auf einem hohen methodischen Niveau erstellte Vergleichsstudie der Sana-Care-AG ergibt eindeutige Hinweise auf die Ausgabenkontrolle und Einspareffekte ohne Qualitätsverluste im Hausarztsystem.

Nachdem sich die fachärztlich verursachten Nebelschwaden aufgelöst haben, bleibt nur noch die Betrachtung von Frau Gudrun Schaich-Walch vom 03.03.1999 in "Gesellschaftspolitische Kommentare": "Auch die ambulante ärztliche Versorgung muß intelligenter gestaltet werden. Zur Gesundheitsbetrachtung gehört auch die Betrachtung der sozialen Situation des Patienten und die Führung durch das System.

Dafür brauchen wir einen bestens ausgebildeten Hausarzt, der in der Lage ist, die Alltagsbeschwerden seiner Patienten und die weitverbreiteten Krankheiten effizient zu behandeln und die Betreuung seiner Patienten durch geeignete nichtärztliche und ärztliche Spezialisten zu organisieren und koordinieren.

Wir haben dies mit dem Bild des Lotsen versehen, um deutlich zu machen, daß das Ziel ist, Patienten schnell und sicher auf den für ihre Gesundung richtigen Weg zu bringen und dafür zu sorgen, daß der Patient auch auf der jeweils notwendigen Versorgungsebene ankommt und gegebenenfalls weitergeleitet wird."

Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Der BDA wünscht der jetzigen Regierung die nötige politische Durchsetzungskraft, diese Vorstellungen im kommenden Gesundheitsreformgesetz durchzusetzen.


Eckhard Brüggemann (16.5.99)



Senden Sie Ihren Diskussionsbeitrag an Dr. Eckhard Brüggemann zur Veröffentlichung.

Zum Inhaltsverzeichnis