Ammenmärchen der Gesundheitspolitik
Kostenexplosion, Lohnnebenkosten, demographischer Wandel

Über die Reform des Gesundheitswesens wird seit Jahren mit zunehmender Heftigkeit und Verbissenheit diskutiert. Hieran wird sich auch nach dem Machtwechsel in Bonn nichts ändern. Drei Wissenschaftler aus Berlin, Bremen und Brandenburg haben in einer wissenschaftlichen Arbeit festgestellt: "Ein Dickicht von Halbwahrheiten und Märchen ist entstanden, das die Grundlage der aktuellen Gesundheitspolitik bildet."

Hierbei lassen sich die Argumentationsketten für die Reformer des Gesundheitswesens auf fünf schlichte Thesen zurückführen:
1. Die Gesundheits- bzw. Krankenkassenausgaben steigen überproportional.
2. Steigende Alterslasten und der medizinische Fortschritt gefährden die künftige Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung.
3. Anspruchsdenken der und Mißbrauch durch Versicherte nimmt zu.
4. Die GKV trägt zu steigenden Lohnnebenkosten bei, die den Standort Deutschland gefährden und zu Arbeisplatzverlusten führen.
5. Die sinnvolle Lösung dieser Probleme liegt in der Stärkung der "Eigenverantwortung" im Sinne von Zuzahlung und privater Vorsorge.

Die Wissenschaftler kommen bei einer Überprüfung dieser Thesen zu dem Ergebnis, daß diese Aussagen empirisch nicht gedeckt sind:

1. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seit 20 Jahren nahezu unverändert zwischen 8,3 und 8,8 %. Von "Kostenexplosion" kann überhaupt keine Rede sein. Hinzu gekommen sind jedoch politisch gewollte Belastungen der GKV, die mit einer Krankenversicherung nichts zu tun haben, mit einem Betrag von ca. 40 Milliarden DM in den letzten 5 Jahren. Dabei ist der Anteil der GKV-Ausgaben am BIP von durchschnittlich 5,87 nur auf 5,95 % gestiegen.

2. Zwar sind die Beitragssätze zwischen 1980 und 1997 von 11,4 % auf 13,5 % im Durchschnitt gestiegen. Dieses ist jedoch nicht auf steigende Ausgaben, sondern auf sinkende Einnahmen zurückzuführen. (Sinkende Zahl der versicherten Arbeitnehmer und schwache Lohnzuwächse).

3. Die GKV-Arbeitssätze spielen bei den Arbeitskosten eine völlig untergeordnete Rolle. So belastet die Anhebung der Krankenversichertenbeiträge um 1 Prozentpunkt die Arbeitskosten im produzierenden Gewerbe um 0,4 %. Da aber die Arbeitskosten nur knapp 30 % der Gesamtkosten ausmachen, ist ein solcher Kostenanstieg nahezu zu vernachlässigen.

4. Es gibt keinen eindeutigen und zwingenden Zusammenhang zwischen medizinischem Fortschritt bzw. höherer Lebenserwartung und steigenden Gesundheitsausgaben. Der Fortschritt kann auch kostensenkend wirken und die Ausgaben steigen erheblich weniger als angenommen mit dem Alter sondern mit der Nähe des Todes.

Fazit: Die Ärzte sollten ihre Funktion in unserer Gesellschaft sehr viel offensiver nach außen hin vertreten und insbesondere unseren Budget-Politikern massiv die Stirn zeigen. Das enthebt die Ärzteschaft nicht, im ambulanten Bereich den Hausarzt wieder ins Zentrum der Patientenbetreuung zu rücken.


Eckhard Brüggemann (8.11.1998)



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