Das Netz ist zerrissen - Das traurige Ende einer guten Idee

Unter der Überschrift: "Erst waren sie begeistert, jetzt halten sich die Krankenkassen zurück;" erschien ein Artikel über die Praxisnetze im "Kassenarzt" 44/98.

Genau die gleichen deprimierenden Erfahrungen, wie sie von den Kollegen in Osnabrück geschildert werden, haben die Verantwortlichen für das Herner Praxisnetz gemacht. Es ist deshalb vor dem Hintergrund dieser schmerzlichen Erfahrungen nur dringend vor der Euphorie zu warnen, Netze seien für die ambulante Patientenbetreuung der Weisheit letzter Schluß, und ohne sie ginge gar nichts mehr, wie das Strategiepapier der KBV (KBV-Kontext-Spezial: Eckpunkte für eine Weiterentwicklung des Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland aus Kassenärztlicher Sicht vom September 1998) es den Ärzten weismachen möchte.

Weit gefehlt, denn die Hindernisse, ein vernünftiges Netz zu knüpfen, welches tatsächlich allen Patienten der GKV zugute kommt, kostet zunächst sehr viel Geld und liegt nicht im Interesse der Krankenkassen. Netze für einzelne Kassenarten liegen aber nicht im Interesse der Ärzte, die eine flächendeckende Optimierung der Patientenversorgung wünschen.

Seit Ende 1996 arbeiten die niedergelassenen Ärzte in Herne an einem Praxisnetz, ohne daß bist heute - also 2 Jahre später - irgend etwas Konkretes oder auch nur ansatzweise Umsetzbares herausgekommen wäre.

Der hohe zeitliche Aufwand des Vorstandes hat sich nicht gelohnt. In vielen äußerst zähen Verhandlungen, zunächst mit der KVWL und nach ca. 15 Monaten auch mit den Krankenkassen, mußte das Projekt am 4.11.1998 in seiner ursprünglichen Form begraben werden.

An der letzten Vollversammlung nahmen gerade noch 15 von 130 interessierten Kollegen teil. Zu tief saß die Enttäuschung über die mangelnde Bereitschaft der bürokratischen Kasseninstitutionen, Idealismus und persönliches Engagement der Ärzte zu unterstützen.

Was waren die eigentlichen Gründe des Scheiterns? Der Grund ist auf eine ganz einfache Formel zu bringen: Es gab keine Interessenskongruenz zur Einrichtung eines Praxisnetzes. Jede der drei beteiligten Parteien hatte ein anderes Ziel, und so wurde das so hoffnungsfroh begonnene Netz heillos zerrissen.

1. Die Ärzte waren unter der Prämisse angetreten:
- die Patientenversorgung zu optimieren
- ihre schwere Arbeit zu erleichtern
- eine dringend notwendige Kosteneinsparung für die Praxen zu gewährleisten
- die Zusammenarbeit zwischen den Kollegen zu fördern
- die Anschubfinanzierung gesichert zu bekommen
- die Kosten für die Krankenkassen - insbesondere im stationären Bereich - einzusparen
- die Notfallversorgung zu optimieren
- und als eine der wesentlichen Bedingungen sollte das Netz für alle GKV-Patienten - also alle Kassenarten - gleich gelten.

2. Die Krankenkassen hatten offensichtlich völlig andere Interessen als das aus ihrer Sicht idealistische Unterfangen, die allgemeine Patientenversorgung zu optimieren und im besonderen die Betreuung der Alten und chronisch Kranken zu verbessern. Das Ziel der Krankenkassen, so ist seit einiger Zeit festzustellen, liegt nicht mehr in der guten Versorgung der Kranken, sondern in der Akquisition "guter Risiken", also zahlungskräftiger junger Versicherter ohne Krankheiten. Nur so glaubt man, im Wettbewerb der Krankenkassenarten bestehen zu können. Aus der "Krankenkasse" wird die Gesundheitskasse. Welch Paradigmenwechsel.

Und genau aus diesem Grund, nämlich dem Wettbewerb, lehnen die Kassen eine gemeinsame Zusammenarbeit an Praxisnetzen ab, denn das brächte ihnen keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Krankenkassen. So entstehen Netze mit einzelnen Kassenarten, die sich wie ein Flickenteppich über die Republik ausbreiten, ohne daß die Patientenbetreuung effektiv verbessert wird. Die Ärzte lassen sich in solche fatalen Teillösungen durch kleine vermeintliche finanzielle Vorteile locken. Hier kann nur dringend vor solchen Scheinlösungen gewarnt werden. Darüber hinaus müssen die Ärzte auch noch mit einer anderen Strategie der Kassen rechnen. Die kassenartspezifischen Netze werden als erster Einstieg in das "Einkaufsmodell" gesehen, und das zu Recht. Man kann nur alle Kollegen vor solchen Lösungen warnen.

An eine Anschubfinanzierung von seiten der Krankenkassen ist überhaupt nicht mehr zu denken, so daß die nicht unerheblichen finanziellen Vorleistungen von den Ärzten selbst getragen werden müssen. Hierzu kann sich kein Arzt bereit finden; denn das finanzielle Ausbluten der Praxis hält nun schon seit ca. 15 Jahren an. Durch Verweigerung der Krankenkassen sind jetzt die Ärzte, die dann privat ein solches Praxisnetz errichten würden, auf das Sponsoring z.B. der Pharmaindustrie angewiesen. Eine Situation, die zumindest bedenklich stimmt.

3. Die KVen befürchten bei den Praxisnetzen zu Recht die Aufsplitterung der Ärzteschaft und daraus resultierend einen erheblichen Machtverlust. Beides wird auf Dauer dem niedergelassenen Arzt nicht zum Vorteil gereichen, da den Krankenkassen offensichtlich - politisch gewollt - immer mehr Macht zuwächst.

In dieser Situation können aus Sicht eines Betroffenen nur folgende Schlüsse gezogen werden:
- Die Krankenkassen müssen politisch gezwungen und finanziell in die Lage versetzt werden, in Zusammenarbeit vornehmlich mit den Hausärzten, die insbesondere chronisch Kranken so weit wie möglich gut medizinisch zu versorgen. Allein bis zum Jahr 2015 wird sich die Zahl der über 65jährigen in der Bundesrepublik Deutschland verdoppeln.
- Die KVen müssen die Verträge mit den Krankenkassen künftig an einer evidenzbasierten Versorgung auf der Grundlage epidemiologischer Kontrollen orientieren, wobei unterschiedliche Versorgungsformen wie - Wahlhausarzttarife, Versorgungsnetze oder "freie Arztwahl" zu vergleichen sind.
- Landesorganisationen müssen eine Gesundheitsberichterstattung erarbeiten und ständig fortschreiben, sowie den regionalen Wettbewerb um eine effektive und effiziente Versorgung aufnehmen.
- Kommunen müssen umdenken, damit der Grundsatz "so viel ambulant wie möglich" verfolgt wird. Ein großes Angebot an Krankenhausbetten schafft sich Nachfrage, erhöht die Kosten und löst das Patientenproblem oft nicht.
- Auf der unteren Ebene lassen sich Prävention und Behandlung verbessern, wenn die Gesundheitsberatung - aber diesmal nicht als Marketinginstrument der Krankenkassen - wieder eingeführt wird.

Fazit: Es bleibt unerläßlich - ob mit oder ohne Netz - in der ambulanten Versorgung unserer Patienten eine sinnvolle Koordination der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zu etablieren. Hierfür stehen wir Hausärzte bereit. Wann lässt man uns endlich unsere Arbeit "lege artis" verrichten ?


Eckhard Brüggemann



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