So nicht !

Veröffentlichungen, die sich mit dem Behandlungs- und Verantwortungschaos im derzeitigen ambulanten bundesrepublikanischen Gesundheitssystem beschäftigen, sind Legionen. Massive Versäumnisse der Ärzteschaft in den vergangenen 30 Jahren, die Chipkarten-Libertinage, zunehmende fachgruppentypische Existenzängste, mangelnde Kooperationsbereitschaft der Fachkollegen mit Hausärzten und letztlich Entscheidungsschwäche der Politiker haben die ambulante Medizin in diese Situation nahezu getrieben.

Eine Versorgung der Bevölkerung auf dem jetzigen hohen Niveau ist im Prinzip, selbst bei einem Beitragssatz von ca. 14 % - die Hälfte trägt der Arbeitgeber - nicht zu halten.

Hierbei gibt es neben hausgemachten auch eine Reihe von externen Gründen, die diese Finanzierungsmisere verursacht haben. Zu nennen sind als externe Gründe insbesondere:
1. die hohen Arbeitslosenzahlen,
2. die zunehmende Zahl von Rentnern, deren Beiträge ebenfalls von den aktiven Mitgliedern subventioniert werden,
3. die sehr teure moderne Technik und extrem teueren innovativen Arzneimittel, auf die kein Patient verzichten möchte,
4. der mangelnde Mut unserer Politiker, klar zu sagen, was in der GKV noch bezahlbar ist und was in die Eigenverantwortung jedes einzelnen gehört.

Einfach wie die SPD zu behaupten: Die Rationalisierungsreserve im Gesundheitswesen betrüge 25 Milliarden DM, deshalb müsse das Globalbudget bestehen bleiben, bis dieser Betrag eingespart sei, greift sicherlich zu kurz. Eine solche Politik wird in kürzester Zeit die Ärzte zu einer massiven Rationierung von Leistungen zwingen. Will die Politik das? Vor allem wenn man weiß, daß dies vornehmlich die "schlechten Risiken" einer Praxis, also die chronisch Kranken oder altersgebrechlichen Patienten träfe.

Der BDA möchte dieses Szenario unter allen Umständen verhindern. Keinem Hausarzt wäre eine solche Entscheidung im Einzelfall zuzumuten.

Ganz grundsätzlich ist deshalb festzuhalten: Die Rationalisierungsreserven sind in der ambulanten Versorgung seit der rigiden Budgetierung in weiten Bereichen ausgeschöpft (siehe Aussage von Minister Seehofer). Deshalb muß mehr Geld ins System, und das geht unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Lage nur über mehr und höhere Eigenbeteiligung der Patienten, nicht durch die Erhöhung der Beiträge. Unter Beibehaltung des Sachleistungssystems ohne Zuzahlung im hausärztlichen Bereich und für das medizinisch Notwendige kann eine solche zusätzliche finanzielle Beteiligung der Patienten auch politisch mitgetragen werden, da im europäischen Vergleich in der Bundesrepublik Deutschland die Zuzahlungen im unteren Drittel liegen.

Nicht unerwähnt bleiben darf, daß es auch im innerärztlichen Bereich hausgemachte Gründe für eine Ressourcenvergeudung gibt, die dringend der Korrektur bedarf. Aus Sicht des BDA müssen folgende Problembereiche gelöst werden:

1. Der Hausarzt muß seiner Koordinationsaufgabe gerecht werden können. Das funktioniert unter heutigen Bedingungen nicht! Er, und nur er, ist der Spezialist für die Beschwerden des unausgelesenen Patientengutes, für die Betreuung der chronisch Kranken und für jedwede Prävention in enger, aber nachgeordneter Zusammenarbeit mit dem Spezialisten. Wie weit ist die jetzige Patientenversorgung von diesem Idealzustand heute entfernt!

2. Die Libertinage - sogenannte freie Arztwahl -, von der der Gesetzgeber im SGB V an keiner Stelle spricht, die spezialistische Fachärzteschaft sie aber ständig auf den Lippen trägt, muß unterbunden werden. Das Mitglied der GKV hat nach dem Gesetz ein Anrecht auf eine notwendige, ausreichende und wirtschaftliche Behandlung und nicht auf eine optimale und schon gar nicht auf eine maximale. Deshalb muß die Benutzung der Chipkarte eingegrenzt werden.

3. Nach dem SGB V hat der Patient einen Hausarzt zu wählen. Bisher ist von einer Umsetzung dieses Paragraphen nichts zu spüren. Sollte etwa die Mehrheit der Spezialisten in den KV-Gremien und bei der KBV aus rein egoistischen Gründen dieses blockieren? Es wäre ein Rechtsbruch, der eine Ersatzvornahme durch das Ministerium nach sich ziehen müßte.

In der Umsetzung dieses Paragraphen liegt der Schlüssel zur Lösung eines der schwerwiegendsten Probleme in der ambulanten ärztlichen Versorgung.

Immer wieder wird in Diskussion den Ärzten von Krankenkassen und Politikern insbesondere eine nicht rational nachvollziehbare Leistungserbringung und -vermehrung vorgeworfen.

Ärzte und Politiker sind gefordert, schnellstmöglich Lösungen zu finden. Die Krankenkassen und Patienten werden nicht helfen, die einen, weil sie nur auf die guten Risiken - junge dynamische Mitglieder -, und die anderen, weil sie auf die technische Medizin und deren oft nicht angemessene Anwendung schielen. Der verantwortliche und sparsame Umgang mit medizinischen Leistungen sowie die Gesamtverantwortung für das System der ambulanten ärztlichen Versorgung hat unter den heutigen Bedingungen ohne organisatorischen Zwang keine Chancen. Aber muß der Gesetzgeber, müssen die Ärzte diesem wenig vernünftigen Treiben widerstandslos zusehen? Der BDA sagt: Nein!

Wie wenig die Spezialisten erkannt haben, was tatsächlich an Entscheidungen notwendig ist, zeigen folgende Äußerungen von Dermatologen auf der 16. Fortbildungswoche Ende Juli in München: O-Ton:
- "Diese Therapie gehört natürlich ausschließlich in die Hand des Hautarztes."
- "Jede Diagnostik in fremder Hand treibt nur die Kosten in die Höhe."
- "Das Primärarztsystem kann uns die Existenz kosten!"
- "Wir werden zu konsiliarischen Handlangern der Praktischen Ärzte!"

Diese Aussagen sind keine Ausnahme sondern sie sind nahezu die Regel in internen Zirkeln der spezialistischen Fachgruppen. Dabei weiß jeder, der auch nur ein wenig praktisches und politisches Gespür hat, daß nicht die Hausärzte und ein wie auch immer geartetes Primärarztsystem die niedergelassenen Spezialisten bedrohen, sondern die ständig sich ausweitenden Klinikambulanzen.

Wen wundert es da, wenn die Hausärzte nach Jahren der Ausbeutung durch Mengendynamik und Punktzahlklau der spezialistischen Fachgruppen sich andere Verbündete als gerade die eigene Zunft suchen!

Auch die Leidensfähigkeit von Hausärzten ist gegenüber den Lippenbekenntnissen der Kollegialität begrenzt.


Eckhard Brüggemann (28.8.98)



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