Der Turmbau zu Babylon.
Gesetzlicher Rentenversicherung droht Zahlungsunfähigkeit
Wenn in Deutschland von der Zukunft der Rentenversicherung gesprochen wird, hört es sich
an wie eine babylonische Sprachverwirrung. Obwohl in aller Munde, meint kaum einer das selbe, wenn
er von "sicherer Rente" spricht.
Aus jeder politischen Ecke kommen neue und andere Vorschläge, die Rentenversicherung für die Zukunft
zu sanieren. Trauen kann man keinem dieser Konzepte, da Politiker grundsätzlich das Wohl und Wehe der
Wähler im Kopf haben und damit meist die Situation, Analyse und Therapievorschläge nicht objektiv darstellen
können oder dürfen.
Auf der anderen Seite werden die Träger der privaten Altersvorsorge - insbesondere Versicherungsgesellschaften
und Fonds-Anbieter - nicht müde, auf die Versorgungslücke hinzuweisen. Fest steht jedenfalls, aufgrund der oft
beschriebenen, gesundbetenden Schönrednerei wird es ohne Gegensteuern eine rechtzeitige Vorsorge der
heute im Erwerbsleben stehenden Bevölkerung nicht geben.
Die umlagenfinanzierten Rentenversicherungssysteme geraten immer mehr unter Druck. Sie sind kaum noch in
der Lage, die sich abzeichnenden Entwicklungen ausreichend zu kontern. Hauptgrund dafür ist die bekannte
demokratische Entwicklung. Immer mehr Rentnern stehen immer weniger Aktive gegenüber. Spätestens im
zweiten Jahrzehnt des nächsten Jahrhunderts wird das überwiegend aus Beiträgen finanzierte Rentensystem
nicht mehr bezahlbar sein, wenn es ein im Alter ausreichendes Versorgungsniveau garantieren soll.
Diese ungünstige Entwicklung wird verstärkt durch eine sich ständig erhöhende Lebenserwartung der
Bevölkerung. Finanziell verschärfend tritt auch das Problem der Frühverentung hinzu.
Subsumiert man jetzt die Gesamtentwicklung, wird die Relation zwischen bezahlten Beiträgen und später
empfangenen Renten ständig schlechter.
Auch wenn Bundesregierung und Rentenversicherer auf die durch zwei Rentenreformen 1992 und 1999
erfolgten vorübergehenden Konsolidierungen zu sprechen kommen, die die Renten wieder auf sichere
Beine zu stellen vermöchten, dann sprechen sie von einer Rente, die mit den Renten der 80er Jahre nur
noch im Namen Gemeinsamkeit aufweist. Also babylonische Sprachverwirrung, oder Politik mit der Semantik.
Auch wenn die heutige Politik nicht - wie Otto von Bismarck - die Rente nur noch so hoch lassen will, "daß
der 'Alte' nicht von der Schwiegertochter aus dem Hause gedrängt wird", so bahnt sich doch ein deutlicher
Abbau der Renten an.
Diese Entwicklung ist für viele ein schwerer Schlag, denn wer gibt gerne etwas von der Sicherheit auf. Jeder
Verständige aber wird sich schlußendlich der weltweiten Entwicklung stellen und - wenn auch
zähneknirschend - seinen Beitrag zu den Erfordernissen einer globalen Wirtschaft leisten müssen.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf Herrn Prof.Dr. Gerhard Fels, Direktor am Deutschen Institut für
Wirtschaft in Köln, auf einer Tagung zum Thema Altersversorgung des Gesamtverbands der deutschen
Versicherungswirtschaft (GDV) verweisen: "Es sind Einsparungen in den Kassen der Sozialversicherungen
unumgänglich, will man die Beitragssätze nicht ins Unermeßliche steigen lassen. Der Teufelskreis von
steigenden Sozialbeiträgen und wachsender Arbeitslosigkeit wird sich sonst noch schneller drehen.
Die Sozialausgaben werden damit noch stärker zum Treibsatz für die Arbeitskosten - und damit für
Deutschland zu einer kaum mehr tragbaren Hypothek im internationalen Wettbewerb."
Dieser finanzielle Tribut wird aus meiner Sicht die Grenze des Erträglichen für die Bürger erreichen. Gerade
deshalb muß schon heute schonungslos die Wahrheit ausgesprochen werden, daß zunehmend auf eine
private Alterssicherung gesetzt und aus der eigenen Tasche bezahlt werden muß.
Notwendig ist daher in der politischen Diskussion über die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung
eine behutsame aber schonungslose Offenlegung der Erfordernisse und daran anknüpfend die konsequente
größtmögliche Beförderung aller vorstellbaren Möglichkeiten individueller Vorsorge.
Völlig unzumutbar ist es doch, daß die Politik nicht alles daransetzt, die Einbußen, die von uns allen gefordert
sind, auf der anderen Seite wieder anzugleichen. Das Gegenteil findet statt: Statt möglichst viele Unsicherheiten
auszuräumen und jedem einen Weg aufzuweisen, auf andere Art zu einem sicheren Alter zu kommen, macht
ein zielloses Vagabundieren von Finanz- und Sozialpolitik dem verunsicherten Bürger das Leben und Älterwerden
erst richtig schwer.
Das von mir Gesagte wird durch eine Repräsentativumfrage, die das Institut für Demoskopie Allensbach
unter 2100 Bürgern über 16 Jahre durchführte, noch untermauert. In dieser Studie wurde nach dem
Vertrauen in die Solidität der klassischen Säulen der Alterssicherung gefragt:
1. gesetzliche Rentenversicherung
2. betriebliche Altersversicherung
3. private Vorsorge.
Wesentliches Ergebnis der Untersuchung war, daß das Vertrauen in die staatliche Rente merklich ständig
schwindet. Der Anteil der Westdeutschen, die sich ausreichend abgesichert fühlen, ist von 50 % im Jahr 1988
auf heute 40 % gesunken. Besonders deutlich wird dies am Vertrauensschwund gegenüber der staatlichen
Rentenversicherung, da die Befragten, die in eigenen Versorgungswerken versichert sind, oder sich rein privat
abgesichert haben, wesentlich zuversichtlicher in die Rentenzukunft schauen.
1990-1997 stieg der Beitragssatz für die gesetzliche Rentenversicherung von 17,7 % auf 20,3 %. 1998 wären
es 21 % geworden, wäre nicht im letzten Moment durch die Erhöhung von Mehrwertsteuer und Bundeszuschuß
gerade noch "die Kurve gekratzt" worden. Gleichzeitig steigt die Bemessungsgrenze jährlich an. Ein Arbeitnehmer
mit einem Jahreseinkommen von 100.000 DM wird statt wie 1990 nur 13.806 DM im laufenden Jahr voraussichtlich
bereits 21.000 DM Rentenversicherungsbeitrag zahlen müssen. Das ist eine Steigerung von sage und schreibe
52 %.
Das Desaster, das Blüm jetzt als Krisenmanager zu bewältigen hat, ist nicht ihm persönlich anzulasten.
Unter den gegebenen Umständen macht er seine Sache nicht einmal so schlecht, auch wenn seine
Aussagen nur der halben Wahrheit entsprechen. Ich erinnere hier an seinen berühmten
Ausspruch: "Die Renten sind sicher!"
Ruiniert haben die Politiker vor ihm die gesetzliche Rentenversicherung. Durch überzogene Steigerungen
und die ausgleichslose Beanspruchung für sozialpolitische und - wie unrühmlich zu vermerken
ist - wahlpolitische Ziele hat man die in den 50ern auf einer Deckung von 20 Monatsausgaben
noch blendend dastehende Rentenkasse ausgeplündert und ausbluten lassen.
Großzügig wurden die Renten an die wirtschaftliche Entwicklung angekoppelt, die Leistungen erweitert,
die Altersgrenze gesenkt, ohne in den Zeiten des Wirtschaftswunders an die Folgen zu denken, die eine
andere als die erwartete Entwicklung zeigen muß. Der Rentenversicherung wurden in den letzten 40 Jahren
immer mehr Soziallasten aufgebürdet, die eigentlich von der Gesellschaft selbst hätten getragen werden müssen,
also über Steuern finanziert werden müssen. Dieselbe bemühte Gutgläubigkeit und so pharisäerhaft immer wieder
von den Spezialisten vorgetragene "soziale Gerechtigkeit" haben die umlagenfinanzierte gesetzliche
Rentenversicherung ruiniert.
Nutznießer der Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, die mit der Einführung der
dynamischen Rente im Jahr 1957 begannen und sich auch in späteren Jahren fortsetzten, war die damalige
Wähler- und heutige Rentnergeneration. Ihre Beitragsrendite liegt höher als die früherer Rentnergenerationen
und deutlich über der, die heutige Beitragszahler erwarten können. Untersuchungen zeigen, daß die
Beitragsrendite des 57er Rentenversicherungssystems sogar höher war als die Verzinsung am Kapitalmarkt.
Nach dem Rentenreformgesetz 1992 haben die heute ins Erwerbsleben eintretenden Arbeitnehmer hingegen
nur noch eine Beitragsrendite zu erwarten, die erheblich unter der Kapitalmarktrendite anzusiedeln ist. Die
Rentabilität der Rentenversicherung hat langfristig einen stark fallenden Trend. Dabei muß man bedenken,
daß wir mit den Rentenreformen noch nicht am Ende sind. Schon ist ein neues Gesetz in Vorbereitung, welches
die Dynamik des Anstiegs der Renten gegenüber früher deutlich verlangsamt - erneut eine deutliche
Schlechterstellung der kommenden Generation gegenüber den jetzigen Rentnern.
Was ist zu tun? Schon seit mehr als einem Jahrzehnt wird diese Entwicklung prognostiziert und die Empfehlung
ausgesprochen, partiell auf kapitalbildende Systeme überzugehen. Hier ist vor allen Dingen die Vorstellung von
Herrn Prof. Biedenkopf, CDU-Ministerpräsident aus Sachsen, lobend zu erwähnen, der das Thema der
unfinanzierbaren Rentenversicherung mit aus meiner Sicht vernünftigen Sanierungsvorschlägen ständig
auch gegen den Trend seiner eigenen Partei hervorhebt.
Die kapitalbildenden System können die aufgezeigten Probleme einfach besser beherrschen. Das belegen
versicherungsmathematische Untersuchungen. Aber: wichtig ist ein frühzeitiger Start in die Kapitaldeckung
wie das erfolgreiche niederländische Beispiel zeigt. In Deutschland verschließt allerdings die Politik immer
noch die Augen - und zwar SPD und Grüne mehr noch als CDU oder gar FDP - und schiebt die Problemlösung
vor sich her und verschärft damit noch die Situation für die künftigen Generationen. Vor diesem Hintergrund
kann man nur folgendes empfehlen:
1. Die Grundversorgung sollte wie bisher über ein Umlageverfahren im System der Sozialversicherung verbleiben.
Inwieweit dieses System in eine steuerfinanzierte Grundrente oder ein mehr beitragsorientiertes
System - wie heute - einmündet, bleibt der politischen Willensbildung überlassen.
2. Die Kapitalbildung muß außerhalb der Sozialversicherung gestärkt werden, und zwar unter Nutzung der
vorhandenen kapitalbildenden Systeme über zwei Säulen, nämlich der betrieblichen Altersversorgung und
der privaten Versorgung.
3. Eine Kapitalbildung innerhalb der Sozialversicherung, wie sie auch immer vorgeschlagen wird, wird wegen
der politischen Beeinflußbarkeit nicht in der Lage sein, auf Dauer effiziente und vor allem sichere Vorsorge zu
garantieren. Die Politik ist aufgerufen, sowohl die betriebliche Altersversorgung wie auch die private Vorsorge
mit besseren Rahmenbedingung auszustatten. Dies kann durch gezielte Steuer-Incentives wie auch durch
gesetzlich verankerte Pflichtversicherungssysteme bei privaten kapitalbildenden Vorsorgeträgern, etwa im
Rahmen eines betrieblichen Versorgungssystems, erfolgen. Im Ausgang gibt es hierfür viele gute Beispiele.
4. Die Kapitalbildung muß besonderen Sicherheitsanforderungen genügen. Dazu gehören Vorschriften
für die Kapitalanlage ebenso wie definierte Garantieniveaus bei den Leistungsverpflichtungen. Vorsorge muß
sicher sein und deutlich abgegrenzt werden von reinen vermögensbildenden Maßnahmen, z.B. die
kapitalbildende Lebensversicherung, Pensionskassen und Pensionsfonds.
Ich fasse zusammen. Das umlagenfinanzierte Rentenversicherungssystem ist ad hoc einer schonungslosen
Analyse zu unterziehen. An grundlegenden Reformen der gesamten Altersversicherung für den Bürger wird
die Politik in den nächsten Jahren nicht vorbeikommen.
Natürlich vermag ein kapitalbildendes System nicht, soziale Komponenten zu integrieren. Es muß sich
ausschließlich an der Beitragsgerechtigkeit orientieren. Eine Basisversorgung über eine Umlagenfinanzierung
im Rahmen der Sozialversicherung, ergänzt um betriebliche und private Vorsorge, ist daher nach wie vor die
richtige Antwort. Die Gewichte sollten aber verstärkt zugunsten der Kapitalbildung verschoben werden, und
dies schnell, konsequent und dauerhaft.
Eckhard Brüggemann (1.7.1998)
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