Das facharztgestützte Primärarztsystem
Wer kennt sie nicht, die Angriffe der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände (GFB) gegen den
Hausärzteverband (BDA), seine Repräsentanten und auch die Hausärzte im allgemeinen. Landauf,
landab wird gegen den freiwilligen Wahl-Hausarzttarif des BDA polemisiert, als sei mit dessen Realisierung
das Ende einer flächendeckenden fachärztlich spezialistischen Versorgung eingeläutet.
In ihrer Argumentation und Diktion zeigt sich die GFB keineswegs zimperlich. Die hier an den Tag gelegte
Unkollegialität gipfelt in dem Satz: "Die Hausärzte sind aufgrund mangelnder Weiterbildung und Qualifikation
gar nicht in der Lage, ihren Anspruch auf eine kompetente Patientenführung zu erfüllen."
Dies sagen diejenigen in aller Öffentlichkeit, die 20 Jahre eine qualifizierte Pflichtweiterbildung im Fachgebiet
Allgemeinmedizin torpediert und verhindert haben. Das besagt alles!
Aber damit nicht genug. Klammheimlich und mit sanftem Druck sind in den letzten Jahren in allen Gebieten
der Medizin der ambulanten Versorgung facharztgestützte Primärarztsysteme eingerichtet worden, ohne
daß irgendwelche Skrupel bezüglich der "freien Arztwahl" aufgekommen wären; ein Argument, welches
den Hausärzten von den Spezialisten immer entgegengeschmettert wird, wenn diese auf die notwendige
Koordinationsfunktion des Hausarztes verweisen:
- Bei Arbeits-, Wege-, Schul- und Kindergartenunfällen muß der Hausarzt immer dann verpflichtend einem D-Arzt
(meist Chirurgen) überweisen, wenn eine Arbeitsunfähigkeit bzw. länger als eine Woche Schulunfähigkeit aus
dem Unfall resultiert. In der BG gibt es darüber hinaus nur eine sehr beschränkte freie Arztwahl.
- In vielen KVen besteht - mit ständig wachsender Tendenz und systematischem Betreiben - ein
spezialistisches Überweisungsmonopol an Krankenhausambulanzen; ein ständiges Ärgernis in der
täglichen Praxisroutine eines Hausarztes. Hier kann es doch nur heißen: wenn freie Arztwahl, dann
nicht nur zwischen Hausärzten und Spezialisten, sondern auch zwischen Niedergelassenen und
ambulant am Krankenhaus Tätigen. Alles andere wäre doch inkonsequent und den Politikern nicht
zu vermitteln; BDA-Politik ist dies schon lange nicht mehr.
- Systematisch wird die Arzneiversorgung auf die Spezialisten verlagert, z.B. Finasterid bei Urologen,
ein Mittel, welches jetzt als Haarwuchsmittel außerhalb der GKV von allen Ärzten verschrieben werden kann.
- Die Facharztvolumina bei der Arzneimittelversorgung verzeichnen eine sechsfache Steigerung gegenüber
den Hausärzten, ohne daß der Regreßdruck sich entsprechend bei den Spezialisten erhöht hätte. Nach
wie vor richtet sich dieser ganz überwiegend gegen die Hausärzte.
- Die Pharmaindustrie macht sich dieses Fehlverhalten der gemeinsamen Prüfungsausschüsse zunutze und
bewirbt nur noch Spezialisten mit Innovationen, z.B. Schering - Gynäkologie. Die Folge sind Therapieempfehlungen
im Rahmen der kollegialen Zusammenarbeit, die den Hausarzt sehr rasch in den finanziellen Ruin treiben,
sollte er ihnen folgen.
- Über die Fachkunden und Qualitätsanforderungen - Schlagwort "Facharztstandard" - werden Erbringungs- und
Abrechnungshürden geschaffen, die zwar gezielt den Hausarzt ausgrenzen, aber der Versorgungsrealität und
der Lösung des Patientenproblems im Wege stehen. Hier geht es oft unter dem Deckmantel der Qualität nur
noch um Ausgrenzung.
- Zu den Laborgewerbeinteressen vieler Facharztgruppen braucht nicht viel gesagt zu werden, da gerade in dieser
Zeitung ein langer Artikel erschienen ist. Mafiöse Strukturen bei einigen Fachgruppen haben die OIII-Leistungen
exorbitant ansteigen lassen, da finanzielle Zuwendungen offensichtlich mit der Frequenz der Einsendung gekoppelt
werden. Dies ist unethisch und ein klarer Verstoß gegen die Berufsordnung. Im übrigen wird bei einem
Gesamthonorar auch noch den Kollegen in die Taschen gegriffen.
- Im Psychotherapeutengesetz wird den Spezialisten die direkte Zuweisung ermöglicht; sie dürfen auch die
notwendigen Untersuchungen zum Ausschluß einer somatischen Erkrankung vornehmen, obwohl dies eindeutig
und ausnahmslos eine Aufgabe des Hausarztes wäre.
- Der Hausarzt der Zukunft darf auf chirurgischem Sektor allenfalls noch eine kleine Wunde versorgen oder
unkomplizierte Verbände anlegen. Alles andere soll in Zukunft dem weitergebildeten Chirurgen obliegen.
Darüber hinaus dringen die Fachgebiete immer rücksichtsloser und ohne Hemmungen in eindeutig hausärztliches
Terrain vor:
- Osteoporosebehandlung bei Gynäkologen
- Impfungen für alle Fachgebiete
- Schilddrüsenbehandlung bei HNO-Ärzten
- Um die Allergologie hat man einen Palisadenzaun von Qualifizierungen gezogen, um den Hausarzt von diesen
Leistungen auszuschließen. Dafür tummeln sich dort Dermatologen, Pulmologen, Internisten und andere
Fachgebiete.
Von seiten der KBV bzw. den KVen besteht leider noch keine ausreichende Bereitschaft, dem Hausarzt ein
definiertes Handlungsfeld zu überlassen. Er muß es sich leider beim Gesetzgeber abholen oder das Fachgebiet
Allgemeinmedizin wird abgewickelt. Die angebotsorientierte facharztlastige Medizin muß wieder zu einer am
Versorgungsbedarf orientierten Medizin hingeführt werden. Dabei ist es unerläßlich, den hausärztliche
Versorgungsbedarf zu definieren und ihn finanziell abzusichern. Die Subspezialisierung, die sich ständig
ihren eigenen Bedarf schafft, muß zumindest in der ambulanten Praxis zurückgedrängt werden. Leider fehlt der
KBV bisher jegliche strategische Planung und damit auch die Zieldefinition, wie es weitergehen soll. Wer die
ärztliche Szene wieder zusammenführen will, kommt aber an den oben beschriebenen Tatsachen nicht vorbei.
Muß die Nuß tatsächlich immer von außen (Politik) geknackt werden? Die Geduld der Hausärzte jedenfalls ist
am Ende.
Eckhard Brüggemann (15.11.98)
Senden Sie Ihren Diskussionsbeitrag an Dr. Eckhard Brüggemann zur Veröffentlichung.