In der Zwickmühle - Die Finanzierung des Gesundheitswesens

1. An sich ist der Gesundheitsbereich ein boomender Wachstumsmarkt. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen kennt keine Konjunktureinbrüche. Die Gründe dieser Entwicklung liegen auf der Hand:
- zunehmender Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung mit den typischen chronischen Leiden im Alter
- steigende Ansprüche der Bürger an die Gesundheitsversorgung - der medizinische Fortschritt in Diagnostik und Therapie.

2. Die mangelnde Finanzierung ist die einzige Bremse des Gesundheitsmarktes seit Jahren. Das staatlich verordnete Finanzierungssystem ist längst an seine Grenzen gestoßen, da die Koppelung der Beiträge an die Löhne der Arbeitnehmer keine Expansion mehr erlauben. Die durchschnittlichen Beitragssätze von 13,6 %, die Hälfte davon wird vom Arbeitgeber getragen, haben mittlerweile ein Niveau erreicht, das ohne nachhaltigen Schaden für die Gesamtwirtschaft nicht mehr zu steigern ist. Letztlich gilt das auch für die Private Krankenversicherung und die steuerfinanzierte Beihilfe für Beamte.

3. Durch die mannigfachen Kostendämpfungsgesetze sind letztlich die Rationalisierungsreserven - insbesondere im ambulanten kassenärztlichen System - ausgeschöpft, mit Ausnahme der Ein-führung eines hausarztgestützten Versorgungssystems, welches insbesondere vom BDA gegen den erbitterten Widerstand der Spezialisten und der KBV, aber mit zunehmender Unterstützung von Politikern, Parteien und Krankenkassen präferiert wird.

Sollte der Hausarzt auch weiterhin gesetzeswidrig von der Koordination des Patienten bewußt ausgeschlossen werden, denn die Chipkarte öffnet ihm ohne hausärztlichen Vorkontakt jede spezialistische Behandlung, so bleiben aus meiner Sicht letztlich nur noch zwei Wege übrig, die Schere zwischen steigender Nachfrage sowie zunehmendem Angebot - insbesondere im spezialistischen Bereich bei begrenzten finanziellen Möglichkeiten - zu schließen. Diese Binsenweisheit sollte man den Gesundheitspolitikern aller Parteien ins Stammbuch schreiben: "Entweder es werden neue Geldquellen für das Gesundheitswesen erschlossen, oder die Wünsche der Nachfrager und Anbieter müssen mit rigorosen Maßnahmen rationiert werden. In diesem Spannungsfeld bewegt sich nun einmal die aktuelle Gesundheitspolitik!"

Leider wird sich daran auch in den nächsten Jahren nichts ändern.

In der Analyse dieser Situation sind sich alle Beteiligten im Gesundheitswesen einig. Regierung und Opposition, die Parteien, aber auch Krankenkassen und Ärzte. Bei den Konsequenzen, die aus dieser Situation zu ziehen sind, stehen sich jedoch Regierung und Opposition unversöhnlich gegenüber, denn beide haben sehr unterschiedliche Lösungsansätze. Die Opposition aus CDU/CSU und FDP glauben, daß die Rationalisierungsreserven - vielleicht mit Ausnahme im Krankenhaus - ausgeschöpft sind. Eine wesentliche Effizienzsteigerung sei nicht mehr zu erreichen. Bei weiterhin rigider Budgetierung ärztlicher Leistungen kann es daher nur zur Rationierung von Gesundheitsleistungen kommen. Um dieses zu verhindern, sollten die administrativen Maßnahmen zur Begrenzung des Gesundheitsmarktes aufgegeben werden. Die Gesellschaft muß bereit sein, einen größeren Anteil des Einkommens für Gesundheit auszugeben. Dies ist auch durchaus möglich, wenn man bedenkt, wie viel alleine für die Freizeit- und Urlaubsindustrie an Milliarden DM in der Bundesrepublik Deutschland ausgegeben werden. Weitere finanzielle Einschnitte in das Gesundheitswesen wie höhere Krankenkassenbeiträge werden strikt abgelehnt. Nach Auffassung der Opposition läßt sich das Gesundheitswesen auf Dauer nicht mehr allein aus Beschäftigungsverhältnissen finanzieren. Sie will deshalb den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag einfrieren - keine höhere Belastung der Wirtschaft - und in einem zweiten Schritt den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung dem Arbeitnehmer als Lohn auszahlen und damit die Gesamtverantwortung dem Versicherten übertragen. Dies kann nur jedem freiheitlich demokratisch denkenden Bürger recht sein.

Dem gegenüber kündigt die SPD als Regierungspartei ein "Global-Budget" für die gesamten Gesundheitsausgaben in ihrem Wahlprogramm an. Sie will die Selbstbeteiligungen wieder zurückführen. Diese Politik wird auch von den Grünen unterstützt. SPD und Grüne wollen auch die zukünftigen, immer teurer werdenden Gesundheitsleistungen mit weniger Geld finanzieren. Das bedeutet: die im Gesundheitswesen Tätigen sollen finanziell noch mehr ausgepreßt werden. Die vermeintliche Rationalisierungsreserve wird bei ca. 24 Milliarden DM angesetzt. Darüber hinaus wollen beide die Versicherungspflichtgrenze - Grüne mehr als SPD - auf über 8 000 DM anheben, um noch mehr Arbeitnehmer in die Zwangsversicherung GKV zu pressen. Die Grünen gehen sogar so weit, darüber hinaus auch Beamte und Selbständige in das Kassensystem zwängen zu wollen.

Fazit: Die Politik steht vor der Entscheidung zwischen größerer finanzieller Eigenverantwortung oder steigenden Krankenkassenbeiträgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber; also eine Entscheidung zwischen mehr Bürgerfreiheit und Eigenverantwortung oder mehr sozialistischer Gleichmacherei.

Im Rahmen der Diskussion um eine Reform des Gesundheitswesens können die Vorschläge des BDA, die, das muß fairerweise gesagt werden, von den jetzigen Regierungsparteien weitestgehend geteilt werden, nicht unberücksichtigt bleiben. Der BDA/Hausärzteverband fordert deshalb, daß die vor der Wahl öffentlich geäußerten Aussagen zur Neuordnung der Primärversorgung nun auch in einen Koalitionsvertrag aufgenommen werden:

1. Eigenständige Verhandlungskompetenz der Hausärzte in den KVen zu deren Gesamthonoraranteil.
2. Ein eigener Hausarzt-EBM und HVM von Hausärzten für Hausärzte.
3. Ein Wahlprimärarztsystem, Sie können es auch "Hausarzttarif" nennen, als gesetzliches Pflichtangebot der Krankenkassen für alle Versicherten mit Beitragsbonus.
4. Umstellung des Wahlrechts zu den Vertreterversammlungen der KVen vom Persönlichkeitswahlrecht zum Verhältniswahlrecht.
5. Paritätische Besetzung der wichtigsten Gremien in der KV z.B. Vorstand.

Nur wenn es uns gelingt, den Hausarzt wieder ins Zentrum der Patientenbetreuung zu rücken, ihm also die Möglichkeit zu geben, die im SGB V vorgesehenen Aufgaben der Primärbetreuung und Koordination wahrzunehmen, haben wir die Chance, eine effiziente, bezahlbare und humane Patientenversorgung für die Zukunft zu gewährleisten.

Der BDA will keine amerikanischen und auch keine englischen Verhältnisse! Eine solche Gesundheitspolitik mit Augenmaß müßte doch auch mit Politik und Krankenkassen machbar sein.

Im Rahmen der Diskussion um eine Reform der Finanzierung der Krankenversicherung sind die Vorschläge der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BdA) vom Mai dieses Jahres besonders interessant. In ihren "Ordnungspolitischen Grundsätzen" wird gefordert, daß die sozialen Sicherungssysteme auf eine Basissicherung zurückgeführt werden und die Summe aller Sozialbeiträge von derzeit rund 42 % auf mindestens 38 % vom Bruttoeinkommen gesenkt wird. Die Reformvorschläge des BDA zur Krankenversicherung können aus Sicht des BDA-Hausärzteverbandes in weiten Bereichen als Grundlage für eine Reform gelten:

1. Die Gesetzliche Krankenversicherung muß auf eine Basissicherung zurückgeführt werden um damit das finanzielle Umverteilungsvolumen entsprechend zu reduzieren.

Dabei soll die solidarische Absicherung von Krankheitsrisiken auf medizinisch notwendige Leistungen, d.h. auf eine Basis- und Standardsicherung beschränkt werden. Ziel muß es sein, den allgemeinen durchschnittlichen Beitragssatz dauerhaft auf unter 12 % zurückzuführen.

Anmerkung: Dies wird nur dann gelingen, wenn auch die Rentner deutlich höhere Beiträge zur Rentnerkrankenversicherung leisten.

Die Private Krankenversicherung soll künftig verstärkt ein entsprechendes Ergänzungsangebot vorhalten, das in die Eigenverantwortung jedes einzelnen Bürgers fällt. Das Konzept der KBV mit den "Individuellen Gesundheitsleistungen", die privat abgerechnet werden, zeigt einen vernünftigen Weg auf.

2. Die Leistungen der GKV müssen auf das medizinisch Notwendige konzentriert werden. Der Arbeitgeberanteil, soweit er denn in dieser Form überhaupt bestehen bleiben soll, muß auf 6 % des Bruttoverdienstes begrenzt werden.

3. Versicherungsfremde Leistungen sollten ausgelagert werden, die Kosten sachgerecht zugewiesen werden. Notwendig ist insbesondere eine Neufinanzierung der Mutterschaftsleistungen. Mutterschutz ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Kosten entsprechend über die Steuern finanziert werden müßten. Zu den weiteren Leistungen zählen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Pflegeversicherung. Beide Versicherungen gehören zwar als Pflichtversicherung in den individuellen privaten Bereich und nicht in die GKV-Umverteilung.

4. Die Eigenverantwortung jedes Einzelnen muß gestärkt werden. Dies kann am besten geschehen durch Zuzahlung und Selbstbehalte. Hiermit wird die individuelle Kostenverantwortung gestärkt und die Subsidiarität der Solidarsicherung gewährleistet. Trotz Erhöhung durch die Gesundheitsreform liegt die Eigenbeteiligung der Patienten in Deutschland im internationalen Vergleich am unteren Ende der Skala.

5. Die Wahlmöglichkeiten des Versicherten sollten ausgebaut werden. Der Versicherte sollte gewisse Leistungsbereiche gegen Beitragssenkung abwählen können. Für solche Abwahlleistungen kommen z.B. in Frage:
- Gruppen von Arznei- und Hilfsmitteln
- Kuren - insbesondere Vorsorgekuren, auch Anschlußheil-verfahren und Krebsnachsorgekuren
- Massagen
- Psychotherapie.

6. Beitragsfreie Ehepartnermitversicherung nur bei Kindererziehung und Pflege. Arbeitsentgelte sind nach geltendem Recht bis zur Beitragsbemessungsgrenze beitragspflichtig, unabhängig davon, wie viele Familienangehörige mitversichert sind (sog. solidarische Umverteilung). Familien mit mehreren Verdienern müssen dadurch Beiträge zahlen, die weit über die Höhe der einfachen Beitragsbemessungsgrenze hinausgehen. Bei Alleinverdienern bleibt dagegen die normale Beitragsbemessungsgrenze maßgebend. Das kann zu der Ungerechtigkeit führen, daß Doppelverdienerfamilien trotz eines insgesamt gleichen oder gar niedrigeren Gesamteinkommens höhere Beiträge zur Krankenversicherung zahlen müssen als Familien mit einem Alleinverdiener. Daher muß ein Splittingverfahren für nichterwerbstätige Ehepartner eingeführt werden, die weder Kinder erziehen noch Angehörige pflegen.

7. Generationssolidarität stärken, Bemessungsgrundlage bei Rentnern verbreitern. Arbeitnehmer und Betriebe subventionieren die Krankenversicherung der Rentner mit jährlich ca. 60 Milliarden DM. Diese eklatante Ungleichheit zwischen Beitragshöhe und Leistungsgewährung nimmt von Jahr zu Jahr zu, und belastet die Beiträge der aktiven Arbeitnehmer und der Wirtschaft zunehmend. Daher muß die Beitragsbemessungsgrundlage in der Krankenversicherung der Rentner langfristig und schrittweise auf alle Einkommensarten ausgeweitet werden.

8. Wettbewerbsstärkung, Gestaltungsspielräume ausbauen.
Durch den Ausbau der Freiheitsgrade aller Beteiligten, einer Intensivierung des Wettbewerbs auf allen Ebenen des Gesundheitswesens und die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips wird es gelingen, mehr Wettbewerb in das gesamte System zu bringen. Hierzu zählt auch, daß die Krankenkassen die Möglichkeit bekommen, eigene Vertragskonditionen abzuschließen. Als Instrumente kommen unterschiedliche Vertrags-, Verhandlungs- und Vergütungsformen in Betracht, die sich im Wettbewerb zu bewähren haben. Diese Vertragsfreiheit hat sich besonders auf den Krankenhausbereich zu beziehen. Krankenkassen und privaten Krankenversicherern muß schon bei der Planung eines entsprechenden Krankenhauses ein entsprechendes echtes Mitspracherecht eingeräumt werden. Vorhandene Überkapazitäten sind nicht mehr zu finanzieren.

9. Der Risikostrukturausgleich muß beschränkt werden, es muß der Wettbewerb zwischen den Kassen gestärkt werden. Die Kriterien des Risikostrukturausgleiches unter den Krankenkassen müssen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit überprüft werden, da sonst eine Dauersubventionierung eintritt. Mehr Wettbewerb- und Beitragsgerechtigkeit, mehr Verantwortung der Krankenkassen für stabile Beitragssätze und mehr wirtschaftliche Leistungserbringung müssen mit dem Risikostrukturausgleich einhergehen.

10. Reformvorschläge zur Pflegeversicherung: Unsoziale Umverteilungsprozesse vermeiden, Gesetzliche Pflegeversicherung auf Basissicherung konzentrieren. Die Leistungen der Gesetzlichen Pflegeversicherung dürfen nicht dazu führen, daß eigene Anstrengungen zur Risikovorsorge erlahmen und bestehende Privatvermögen nicht länger zur Risikoabdeckung herangezogen werden müssen. Dies ist leider heute schon in weiten Bereichen der Fall. Die Pflegeversicherung darf daher nur eine Basissicherung sein, die um eine kapitalgedeckte individuelle Risikovorsorge ergänzt werden muß. Hier gilt letztlich das gleiche wie für die Gesetzliche Krankenversicherung und die Gesetzliche Rentenversicherung. Für die Gesetzliche Zwangspflegeversicherung ist ebenfalls die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern auf Fälle von Kindererziehung und Pflege Angehöriger zu beschränken.

Fazit: Vorschläge gibt es genug, die sozialen Sicherungssysteme Gesetzliche Krankenversicherung, Gesetzliche Pflegeversicherung und Gesetzliche Rentenversicherung zu reformieren. Fest steht: Die zur Zeit noch herrschende Rundumversicherung des Schlaraffenlandes Bundesrepublik Deutschland wird auf Dauer nicht finanzierbar sein. Daher sind einschneidende Reformen notwendiger denn je.

Die einfachste und sicher auch effizienteste Reform im ambulanten Versorgungssystem ist und bleibt aus Sicht der Hausärzte, ein wie auch immer geartetes moderates Primärarztsystem einzuführen; flankiert von einem Bündel von Maßnahmen, die eine flächendeckende Versorgung durch qualifiziert ausgebildete Hausärzte gewährleistet. Ohne diese Vorgaben bleibt alles nur Stückwerk. Davon sind wir zutiefst überzeugt.


Eckhard Brüggemann (1.9.98)



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