Die Vertreibung aus dem Paradies

Deutschland am Scheideweg


Das neue Jahrtausend wird mit einem aufgeblähten Staat beginnen, mit einer Regierung, die unendlichen sozialen Umverteilungsansprüchen seiner Bürger gegenübersteht, die nicht in der Lage ist trotz ständig steigender Steuerforderungen ausreichende Steuereinnahmen zu sichern, um diese Ansprüche zu erfüllen oder auch nur die dringendsten Infrastrukturmaßnahmen zu erledigen.

Damit die Regierung sich aber auch weiterhin am Ruder halten kann, wird die exorbitante Staatsverschuldung - zur Zeit nahezu 2,5 Billionen DM - weiterbetrieben, also ein Wohlleben auf Pump. Dabei wird die Wahrheit der Situation, in der die Bürger der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich stehen, geflissentlich verschwiegen.

Die hohe Arbeitslosigkeit, maßloses Anspruchsdenken, Gefälligkeitsdemokratie, übertriebene Größe des Staatssektors im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft - und damit totale Überregulierung aller Lebensbereiche unseres Volkes durch den Staat - haben Deutschland in diese gefährliche Krise geführt.

Es besteht dringender Handlungsbedarf!

Wenn es nicht gelingt, die Politik handlungsfähig zu machen, die Investitionslethargie zu brechen und die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken, stehen Demokratie, Wohlstand und Marktwirtschaft auf dem Spiel.

"Reformstau" ist zu Recht zum Wort des Jahres erhoben worden. Laut Brockhaus ist die evolutionäre Umgestaltung überlebter und verbesserungsbedürftiger Einrichtungen eine Reform. Wie weit ist die Bundesrepublik von diesem notwendigen Schritt entfernt?

Nach einem halben Jahrhundert Erfolgen mit dem Modell einer freien Marktwirtschaft hat sich in Deutschland in der Tat vieles überlebt, ist vieles verbesserungsbedürftig geworden, vor allem angesichts eines dramatisch veränderten wirtschaftlichen Umfeldes. Bereits in dem Gutachten der "Wirtschaftsweisen" von 1992/93 forderte der Rat: "'Für Wachstumsorientierung gegen Verteilungsstreit' neue politische Prioritäten, Konsolidierung und Abbau der Steuer- und Abgabenbelastung." Der Rat mahnte damals Effizienz bei den sozialen Sicherungssystemen an und schrieb, "Zeit zu verlieren können wir uns nicht leisten".

Seither läuft uns die Zeit davon. Dabei müßte Deutschland sich nach dem Rat der Weisen auf die liberalen ordnungspolitischen Aufgaben - soviel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich - besinnen, Fehlentwicklungen müßten durch fundamentale Korrekturen, aber nicht durch punktuelles Kurieren am Symptom bekämpft werden. Tatsächlich befinden wir uns aber in einem lähmenden Schwebezustand ständiger Reformblockaden.

Die Ursachen der Reformmisere reichen bis tief in das Bewußtsein der Bevölkerung. Die Deutschen sind deutlich risikoscheuer als die Angelsachsen und Amerikaner und haben ein starkes Sicherheitsbedürfnis. Dabei vertrauen wir zuviel Institutionen und damit auch dem Staat. Grüne und SPD weit mehr als FDP und CDU. Die Folge ist der heute schon nahezu entmündigte Bürger, eingebettet in das Pseudo-Schlaraffenland allumfassender staatlicher Fürsorge.

In der Welt des 21. Jahrhunderts sind jedoch Risikobereitschaft, Selbstverantwortung und weniger staatliche Absicherung und Fürsorglichkeit gefordert. (Siehe die staatlichen Korrekturen in Schweden, Neuseeland, England und Amerika.) In Deutschland wird aber die Reform der Debatte nicht als Aufbruchsdebatte geführt sondern als Abschiedsdebatte vom sozialstaatlichen Paradies, aus dem man vertrieben wird.

Daher überwiegen in Befragungen die Ängste, statt die Ärmel aufzukrempeln und das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Allewegen Jammern und Klagen auf international höchstem Niveau.

Verdeutlichen soll dies eine Umfrage des Allensbach-Instituts: "Wie stellen Sie sich unsere Gesellschaft in 10 Jahren vor! Was wird für unsere Gesellschaft in 10 Jahren zutreffen?"

Fazit:
Deutsche Diskussionen über Veränderungen muten trostlos an, verzagt, verquält und zäh. Reformen erscheinen wie Verzweiflungsakte als mühsame und fatalistische Anpassung an widrige Umstände. Von Reformbegeisterung keine Spur: Die Stimmungslage kündigt nicht von einem notwendigen wagemutigen Aufbruch zu neuen Ufern, sondern von der Vertreibung aus dem Paradies. So das Allensbach-Institut. In 10 Jahren - davon ist die überwältigende Mehrheit der Deutschen überzeugt - ist unsere Gesellschaft kälter und egoistischer, die Arbeitslosigkeit höher und die Zukunft unsicherer als heute, die sozialen Unterschiede werden zunehmen und die Starken sich zu Lasten der Schwachen durchsetzen.

Bei einer solchen offensichtlich mehrheitlichen Geisteshaltung unseres Volkes kann es einen nicht wundern, daß nach wie vor sozialistisches Gedankengut auch in unseren Parteien fröhliche Urständ feiert. Kommt es nicht zu einer Kehrtwende in den Köpfen der Menschen, ist die wirtschaftliche Talfahrt - wie in Schweden von 1970 bis 1995 - vorprogrammiert.

1970 betrug das Bruttoinlandsprodukt (BiP) in Schweden pro Kopf der Bevölkerung 115 % gegenüber dem Durchschnitt der OECD. Die Arbeitslosigkeit lag bei 2,7 %. Das bedeutete Rang 4 der Liste der OECD-Länder. 1995 betrug des BiP gerade noch 95 %. Das bedeutete Abstieg auf Rang 16, die Arbeitslosigkeit lag bei 13,3 %. Dies hatte der sozialistische Wahn eines gleichmacherischen Wohlfahrtsstaates, genannt auch "Volksheim Schweden", bewirkt. Wollen wir auch diesen abschüssigen Weg gehen? Und wenn nein, was ist zu tun?

Das schwedische Modell, für viele immer noch das Modell erfolgreicher und gerechter Sozialpolitik, ist ähnlich wie in den kommunistischen Staaten total gescheitert. Das Volksheim ist von der schwersten Rezession seit Generationen heimgesucht worden, und bezahlt worden ist dies vor allem vom Mittelstand, den Angestellten und Arbeitern, also dem gemeinen Volk.

Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen von PDS, Grünen und auch SPD sowie Teilen der CDU nur mit äußerster Vorsicht zu genießen. Die Staatsgläubigkeit vieler Parteipolitiker in Deutschland ist ungebrochen, weil nur dieses persönlichen Machtzuwachs bedeutet. Tatsächlich sind aber ganz andere Dinge gefordert um unseren vermeintlichen Bürgerstaat regierbar und bezahlbar zu halten. Hierbei darf es vor allem nicht an mutigen und sachgerechten Entscheidungen fehlen:

1. Nur wenn die Rahmenbedingungen in der Wirtschaft wieder unternehmer- und investitionsfreundlich gestaltet werden, kann die Arbeitslosigkeit, die inhumanste und schlimmste Belastung für den Einzelnen, die Familie und Gesellschaft nachhaltig erfolgreich bekämpft werden. Der Arbeitslosigkeit ist nur durch grundlegende Reformen in der Steuer-, Sozial- und Gesellschaftspolitik beizukommen.

2. Damit diese Reformen sachgerecht und nachhaltig beschlossen werden können, muß unser politisches System reformiert werden:
- Die Wahlperioden müssen auf sechs Jahre verlängert werden, um die Zeiten des Entscheidungsstillstandes in der Vorwahlzeit abzukürzen.
- Das Verhältniswahlrecht, welches nur sehr selten zu klaren Mehrheiten führt, muß durch ein Mehrheitswahlrecht ersetzt werden.

3. Wir benötigen einen neuen Staatsvertrag, in dem das föderalistische System reformiert wird. Was das Parlament beschließt, darf nicht durch Bundesrat und Vermittlungsausschuß blockiert und verhindert werden. So geschehen durch die Bundesratsmehrheit der SPD. Das hat mit Demokratie - Herrschaft des Volkes - nichts mehr zu tun. Der Bundesrat hat sich in seiner Entscheidungshoheit auf die hoheitlichen Funktionen der Länder zu beschränken.

4. Der Personalbestand aller Parlamente bei Bund, Länder und Gemeinden sollte um 50 % reduziert werden. Dafür kann man die verbleibenden Parlamentarier besser bezahlen. Die jetzigen Entscheidungsgremien sind viel zu groß. Das gilt insbesondere für den Bundestag.

5. Der Staat muß sich auf seine hoheitlichen Aufgaben zurückbesinnen und zurückziehen und damit dem Bürger seine Eigenverantwortung zurückgeben. Hoheitliche Funktionen im engeren Sinne sind:
- äußere Feinde abwehren,
- innere Feinde bekämpfen,
- dem Recht Geltung zu verschaffen,
- Steuern zu erheben.

6. Die Staatsquote als Umverteilungsinstrument - zur Zeit liegt sie bei etwa 53 % - muß drastisch gesenkt werden:
- also Steuern runter,
- Abspecken aller sozialen Zwangsversicherungssysteme,
- Senken der Kosten für Löhne und Gehälter unserer Staatsdiener durch Abbau der Stellen,
- Streichen der Subventionen,
- Reduktion internationaler Zahlungen, z.B. EWG und Asyl.

7. Das schafft Spielraum für arbeitsplatzschaffende Investitionen, jedoch keine Geldausgaben für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - wie von der SPD und den Grünen gefordert. Sie verpuffen nachweislich immer wie Strohfeuer. Am Ende ist das Geld aufgebraucht, aber rentable Arbeitsplätze fehlen.

8. Erhöhung der Steuereinnahmen und damit Förderung der Steuerehrlichkeit durch deutlich niedrigere dreigeteilte Steuersätze: also Eingangssteuersatz 15 %, dann 25 % und Spitzensteuersatz 35 %, ohne stufenweise Progression als Umverteilungsinstrument.

9. Alle öffentlichen Leistungen für Müll, Wasser, Abwasser, Strom und Gas müssen ausnahmslos privatisiert werden, damit im Wettbewerb die Gebühren sinken. Bisher werden die Bürger sehr häufig, ohne selbst entscheiden zu können, von Städten und Gemeinden schamlos abkassiert.

10. Die staatlichen Zwangsversicherungssyteme als dichtestes soziales Netz der Welt müssen auf eine Grundversorgung für Bedürftige zurückgeführt werden. Die heutige Totalversorgung weckt ständig neue Begehrlichkeiten bei den Politikern und Mitgliedern. Folge ist die Totalentmündigung auf der einen Seite und auf der anderen Seite die staatlich sanktionierte Ausbeutung des leistungs- und verantwortungsbewußten Bürgers. Dies führt wiederum zwangsläufig zur Demotivation und dem Ausweichen der Leistungseliten, die vornehmlich Staat und Gesellschaft nach vorne bringen. Das gilt sowohl für den Unternehmer, den Freiberufler, den kleinen Selbständigen, den Handwerksmeister, den leitenden Angestellten und den pflichtbewußten Arbeitnehmer.

11. Einschränkungen sind vorzunehmen bei:
- Lohnfortzahlung,
- beim Krankheits-, Weihnachts-, Urlaubsgeld,
- bei den Rentenzahlungen,
- bei den Pflegeleistungen,
- bei der Sozialhilfe,
- bei der Zumutbarkeit von Arbeit für Arbeitslose,
- sowie beim Asyl schlechthin.


12. Gefragt sind in Zukunft mehr Leistungsbereitschaft und Übernahme von Verantwortung sowie die Akzeptanz eines angemessenen persönlichen Risikos. "Leistung muß sich wieder lohnen, Faulheit muß bestraft werden."

Abschließende Betrachtung
Seit langem haben sich Menschen im Rahmen der ökonomischen Theorie mit der Frage beschäftigt: Wieviel Staat benötigt der Mensch, um optimal leben zu können?

Diese Frage trennt auch heute noch zwei Denkspiele, die Radikalliberalen mit ihrem nordamerikanischen Zweig, sowie die herkömmliche Finanzwissenschaft als in der Wolle gefärbter Handlanger des Fiskus mit ihrem europäischen Zweig.

Um Ihnen die beiden Denkschulen näher zu bringen, mag die Besteuerungspraxis als demonstratives Beispiel gelten:
Das Ziel der Finanzwissenschaft ist, die Bedingungen für sinnvolles staatliches Handeln festzulegen. Hierin liegt nicht zwingend schon eine Apologetik des staatlichen Eingriffs, denn es geht auch um die Grenzen zulässiger staatlicher Tätigkeit. So beschäftigt man sich in der Besteuerungstheorie damit, Steuerarten zu bestimmen, welche die Entscheidung der Individuen möglichst wenig beeinträchtigen, zugleich aber dem Fiskus möglichst hohe Erträge verschaffen und sichern. So macht sich aus meiner Sicht die klassische Finanzwissenschaft schließlich doch noch zum folgsamen Helfer des Staates.

Gegen diese Art einer "obrigkeitshörigen", vor dem möglichen Mißbrauch die Augen verschließenden Praxis, setzt sich die Radikalliberale massiv zur Wehr. Es wird die optimale Besteuerung paradigmatisch auf den Kopf gestellt. Sein Ansatz ist, den Zugriff des Staates zu zügeln, statt dem Fiskus Erträge zu sichern. Statt breiter Bemessungsgrundlagen für alle staatlichen Umverteilungssysteme werden möglichst schmale gefordert. Bedenkt man die Diskussion in Deutschland der letzten Jahre bezüglich der Finanzierung jedweder staatlicher Leistungen, so hört man immer mehr: "Wir müssen die Bemessungsgrundlagen für die Beiträge erweitern, z.B. in der Krankenversicherung." Oh armes Deutschland, erwache!, kann man hier nur sagen.

Auch angesichts des ausgeuferten Wohlfahrtsstaates tut sich die Kluft zwischen beiden Denkansätzen unüberwindlich auf, trotz des Flurschadens, den der Kollektivismus hinterlassen hat, und immer noch hinterläßt, trotz der Alimentationsmentalität, welche die kaum zu finanzierende soziale Sicherung gezüchtet hat, trotz der Aushebelung des Leistungsgedanken durch steuerliche Umverteilung, trotz der Frustration des Unternehmergeistes, trotz der Erstarrung des Arbeitsmarktes, trotz des ungehemmten sich verselbständigenden Staates, der das wirtschaftliche Fundament der Gesellschaft eruiert und damit auch die Moral zerstört, wird von der einen Denkschule das Wachstum des Staates als Ergebnis einer objektiven Notwendigkeit als Zeichen einer Zunahme objektiv gerechtfertigter öffentlicher Aufgaben in einer sich wandelnden Welt gewertet. Aussagen von Herrn Lafontaine zur Zukunft Deutschlands.

Während die einen den Staat weiter zurückdrängen wollen, sehen die anderen es als notwendig an, ein aus der demokratischen Kontrolle abgeleitetes Vertrauen zur Rationalität der Politik zu fördern, das sie auch zur Rechtfertigung massiver paternalistischer Eingriffe (Zwang) in das Leben der Bürger bringt, die angeblich nicht selbst verantwortlich entscheiden können und über deren Vorstellungen sich daher die Autoritäten (sprich Politiker) hinwegsetzen dürfen und müssen.

Aber hat nicht nachgerade diese fatale Einstellung zur Staatsallmacht und Bürgerentmündigung geführt? Hiermit wird gutes gesellschaftliches Kapital zerschlagen, das sich in persönlicher Haltung zeigt: die Unabhängigkeit, Rechtsoffenheit, harte Arbeit, Selbstsicherheit, Dauerhaftigkeit, Vertrauen, gegenseitiger Respekt, Toleranz und Ehrenhaftigkeit.

Dieses Kapital wird in kollektivistischen Systemen erodiert und ersetzt durch Verantwortungslosigkeit, Abhängigkeit, Ausbeutung, Opportunismus, Hedonismus, Rechtsverdrehung, Mißtrauen, Intoleranz und Feigheit. In einem solchen moralisch verkommenen, anarchischen Umfeld, weit entfernt vom klassischen liberalen Gedankengut, können weder die Wirtschaft noch die Politik, schon gar nicht unsere waffenstudentischen Verbindungen funktionieren.

Uns alle wachzurütteln, den kommenden Herausforderungen mit Mut, Tatkraft und Rückrat zu begegnen, jeder an seinem Platz, war mein Anliegen. Jedenfalls von uns hier darf es nicht heißen, wie von den Deutschen insgesamt: sie leben in einer Arbeitnehmer- und Rentnerkultur, in der es der Staat schon richten wird. Entmündigen wir den Staat, das ist unsere Aufgabe.

Zum Schluß noch eine kleine Anmerkung: Ihnen allen sei das Buch "Fauler Zauber. Schein und Wirklichkeit des Sozialstaates" von Roland Baader herzlich empfohlen. Erschienen ist es im Resch-Verlag, Gräfelfing.


Eckhard Brüggemann (15.4.98)



Senden Sie Ihren Diskussionsbeitrag an Dr. Eckhard Brüggemann zur Veröffentlichung.

Zum Inhaltsverzeichnis